Samstag, 29. Dezember 2018

Zeit für Veränderungen




Ich hatte überlegt, ob ich in diesem Jahr zum Jahreswechsel endlich einmal nach Lüdinghausen in das Kloster der Franziskanerinnen fahren sollte. Nicht, weil ich gläubig geworden wäre. Nein, ich wollte zur Ruhe kommen, nachdenken, längst überfällige Entscheidungen treffen. Ich wollte - wie in meinem letzten Beitrag beschrieben - den roten Faden finden. Eine gute Freundin hatte mir schon vor Jahren dieses Frauenkloster empfohlen. Doch bisher war es nur bei diesem Gedanken im Hinterkopf geblieben. Und immer, wenn ich seitdem über ein solches Vorhaben sprach, lachten mich meine Freunde aus. Ich fühlte mich missverstanden.

In diesem Jahr stand ich tatsächlich davor, diese Idee in die Tat umzusetzen. Denn ich konnte nicht so weitermachen wie bisher. Dazu vergingen die Jahre zu schnell. Ich wollte nicht länger auf 1000 Hochzeiten herumtanzen. Denken, alles sei wichtig. Und am Ende begreifen, dass es nur eine flüchtige Berührung war. Nein, ich wollte mich bei einigen Dingen in die Tiefe graben. Allerdings fragte ich mich, ob ich mich schon wieder auf die Reise begeben wollte. Mein Körper sagte mir: Setz dich auf deine Couch und denke aus dieser Perspektive darüber nach, was du willst – mit Abstand. Ab und zu steh auf und sortiere deine Bücher und Unterlagen. Nimm sie in die Hand und frage Dich: Sind diese Dinge noch wichtig? Für Dich? Was kannst Du schaffen? Was willst Du schaffen?



So entschloss ich mich eines morgens, meine Wohnung für ein paar Tage zu "meinem" Kloster zu machen. Ausmisten. Sortieren. Ich nahm Bücher in die Hand, von denen ich schon lange nicht den Staub gewischt hatte. Ich grub mich in alte Zeitungen und Zeitschriften, begann, unendlich viel Papierkram wegzuwerfen.



Und ließ dabei das alte Jahr Revue passieren. Ich stellte fest, dass es ein sehr bewegtes, ein durchaus erfolgreiches Jahr gewesen war. Und begriff: Wenn mir eins weiterhin wichtig war, so war es der Wunsch, Geschichten zu erzählen. Geschichten von Menschen abseits des Mainstreams. Egal ob mithilfe des geschriebenen oder des gesprochenen Wortes. Da war die Erfahrung Radio, die ich seit knappen zwei Jahren machte. Welch wunderbares Medium, Menschen die Gelegenheit zu geben, über sich und darüber zu reden, was ihnen wichtig war. Welch Hochgefühl, im Studio am Pult zu sitzen und mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen. Das wollte ich auch in Zukunft tun.

Und da war die Erfahrung, mit dem Verein Inclusio Medien e. V. (www.inclusio-medien.de) die Polit-Talk-Runde "Du hast das Wort" nicht nur zu moderieren, sondern auch inhaltlich zu gestalten, eigene Themen zu setzen, Gäste auszuwählen und einzuladen. Nach genau zwölf Monaten konnte ich sagen: Ich freue mich auf weitere zwölf Monate. Für die Radio- und die TV-Sendung auf dem Offenen Kanal Alex Berlin nehme ich es gern auf mich, mehrmals im Monat im fünf Uhr aufzustehen und nach Berlin zu fahren.

Das alles aber hat seinen Preis. Ein paar Dinge werde ich nicht mehr machen. Dafür habe ich Entscheidungen getroffen, die nicht jeder begrüßen und vielleicht auch nicht jeder verstehen wird. Aber wie sagte neulich jemand treffend zu mir: Einen Tod stirbt man immer.



Liebe Freundinnen, liebe Freunde, ich danke Euch für Euer Vertrauen.
Für das neue Jahr wünsche ich Euch viel Kraft und Freude bei der Verwirklichung der Dinge, die Euch wichtig sind.
Bleibt mir gewogen! Und bleibt vor allem kritisch!

Herzliche Grüße
Eure Margit Glasow

Montag, 24. Dezember 2018

Weihnachten - abtauchen, schreiben, Musik hören oder weiterlaufen?

Copyright: Hans-Peter Stavenhagen

Ich sitze auf meiner Couch und denke darüber nach, wie sinnvoll das nun alles mit Weihnachten ist. Ich hatte mich so auf die freien Tage gefreut, wollte meine Wohnung ausmisten, von überflüssigem Zeug, vor allem Papier, von Unwesentlichem befreien. Gedanken ordnen, schreiben und darüber nachdenken, was mir in der Zukunft wichtig ist, welchen Dingen ich mich intensiv zuwenden will, welche eher vernachlässigen. Aber irgendwie laufe ich mir selbst hinterher, ein Termin - Geburtstage, Weihnachtsfeiern und so weiter - jagt den nächsten. Zum Teil alles schöne Sachen. Gestern zum Beispiel war ich mit einem meiner Enkel und meiner Tochter in der Rostocker StadtHalle. Wir haben uns den "Traumzauberbaum", ein Familienmusical mit dem Reinhard Lakomy-Ensemble, angesehen. Ein toller Nachmittag.

Trotzdem - ich hatte mir die Tage anders vorgestellt. Nicht nur Dinge abarbeiten, sondern auf mich wirken lassen. Den roten Faden finden. Davon bin ich weit entfernt. Allerdings habe ich in diesem Jahr etwas getan, was ich noch nie getan habe. Ich habe mir selbst ein Weihnachtsgeschenk gemacht. Ich habe mir einen Wunsch erfüllt, den ich schon lange hegte, dessen Umsetzung ich aber immer wieder verschob. In meinem Wohnzimmer steht jetzt eine Stereoanlage und ich bin total entzückt, welch großartiger Klang man diesem Teil entlocken noch. Und noch besser. Endlich steht daneben ein Plattenspieler und ich kann meine alten Platten abspielen. Zeit für mich. Ich habe seitdem den Fernseher nicht mehr eingeschaltet, sondern sitze einfach nur so da und lausche. Und mache eine Entdeckung nach der anderen. Zum Beispiel die großartige Tina Diko. Sting sowieso. John Lee Hooker und viele mehr. Und während ich hier so auf meiner Couch sitze und eigentlich über gar nichts nachdenke, die Gedanken einfach vorbeiziehen lassen, wird einiges einfacher, klarer.

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Frohe Weihnachten und eine geruhsame, kreative Zeit wünsche ich allen, die diese Zeilen lesen. Ich freue mich darauf, Euch alle im neuen Jahr wiederzusehen. Mit Euch zu reden.


Dienstag, 20. November 2018

Handbike oder Spekulatius?


Bildbeschreibung: Handbike-Fahren - das heißt, Freiheit und Geschwindigkeit erleben.
Auf dem Foto bin ich auf einem Handbike bei einer Probefahrt zu sehen.

Dass ich eine lahme Ente bin, weiß ja inzwischen fast jeder. Aber es gibt ein paar mehr Herausforderungen als Treppen, denen ich mich im Alltag stellen muss, um mich gesund und wohl zu fühlen. So kämpfe ich zum Beispiel darum, jedes zusätzliche Kilo zu vermeiden, um mich beim Laufen nicht noch mehr zu behindern. Aber damit nicht genug habe ich mir im Laufe der Jahre auch ein paar Unverträglichkeiten zugelegt, die - insbesondere, wenn man wie ich viel auf Reisen ist und sich auf Bahnhöfen rumtreibt - nicht einfach zu handhaben sind. Und ehrlich gesagt, in den letzten Wochen habe ich nicht ganz so diszipliniert gelebt wie gewöhnlich. Die Waage steht zwar drohend im Schlafzimmer, aber ich mache momentan einen Bogen drumherum und gestatte mir zu viele Ausnahmen. ´Ab morgen´, rede ich mir dann immer ein. Aber ich merke, ich bin unentschlossen.

Bildbeschreibung: Lügt die Waage oder will sie mich ärgern?
Auf dem Bild ist eine Waage in einem alten Design zu sehen, die etwa ein Kilogramm anzeigt.

Gerade als ich gestern auf der Couch sitze und von diesen leckeren selbst gebackenen Keksen esse, klingelt mein Handy. "Ich bin der Kundenberater für Mecklenburg-Vorpommern von dem Handbike, das Sie sich auf der Messe in Düsseldorf ausgesucht haben. Ich würde gern am Freitag bei Ihnen vorbeikommen und eine Probefahrt mit Ihnen machen", höre ich am anderen Ende der Leitung eine freundliche Stimme. "Würde das am Freitag für Sie passen?" Ach du grüne Neune, durchfährt es mich. Damit habe ich gar nicht gerechnet. Ich will doch am Wochenende nach Usedom fahren. Dort habe ich am Samstag einen wichtigen Termin. "Leider nein", entgegne ich bedauernd, "ab Freitag bin ich in der Hansekogge in Koserow." "Ach, das ist kein Problem", bekomme ich zur Antwort, "ich kann auch nach Koserow kommen. Am Samstagvormittag könnten wir uns vor Ort treffen." Ich bin begeistert und sage zu.

Nachdem ich den Hörer aufgelegt habe, schießen die Gedanken durch meinen Kopf. Jetzt wird es ernst. Spätestens seit ich im Sommer noch einmal mit dem Handbike einer Freundin gefahren bin, auf der REHACARE in Düsseldorf weitere verschiedene Modelle ausprobiert und irgendwann mit einem Freund eine Wette darüber abgeschlossen habe, ob es mir im nächsten Jahr gelingen wird, stolze Besitzerin eines solchen Gefährtes zu sein, bin ich fest entschlossen, alles dafür zu tun, und habe mich eigentlich auch schon für ein bestimmtes Modell entschieden. Mein Ziel, meine Sehnsucht ist es, meinen Aktionsradius zu erweitern, draußen - in der Natur, am Wasser - unterwegs zu sein. Die Freiheit zu spüren, unabhängig zu sein. Geschwindigkeit zu erleben. Das ist etwas anderes als langsam spazieren zu gehen. Und ich will im Sommer 2019 durch die Mecklenburger Landschaften fahren, Orte erkunden und sie und die dazugehörigen Hotels und Kulturangebote auf ihre Barrierefreiheit testen. Ich will darüber erzählen, schreiben.

Bildbeschreibung:  Auf dem Foto sieht man eine Stulle mit Avokadocreme, grünem Salat, Kräutern und Radieschen.

Immerhin bin ich vor ein paar Tagen bereits im Sanitätshaus gewesen und habe schon einmal die Sitzbreite meines Hinterns vermessen lassen. Doch bin ich überhaupt fit genug? Werde ich es schaffen, an einem Tag viele Kilometer zu schrubben, um von einem Ort zum anderen zu gelangen? Fakt ist, ich muss etwas für mich tun. Mehr als bisher. Ab sofort wird sich - wieder - gesund ernährt. Jetzt ist Schluss mit lustig.


Das Ziel ist klar!
Bildbeschreibung: Ich teste ein Handbike auf der Messe in Düsseldorf.



Donnerstag, 3. Mai 2018

Inspiration durch «Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst»



Eins war für mich klar: Wenn ich nach Zürich fahre, muss ich ins 
Kunsthaus. Ich liebe Kunstausstellungen und lasse mich gern inspirieren. Dass ich diesmal auf eine Ausstellung stieß, die mich besonders interessierte, war ein glücklicher Umstand: «Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst». 




Ich muss dazu erklären, dass ich mich in der Vergangenheit lange schwer damit getan habe, meinen eigenen Stil zu finden. Wie sollte es auch anders sein, bekam ich doch als Kind immer nur die Maßgabe, mich so anzuziehen, dass besonders "kritische" Körperteile verdeckt wurden: Auf keinen Fall Röcke, die die Beine frei lassen! Und bitte unauffällig! Immer wurde mir gesagt, was gut für mich war. Das führte dazu, dass ich einfach nur verunsichert war und zielsicher das Falsche wählte. Erst mit den Jahren, aus der 
Überlegung heraus, wer ich denn sein wolle, begann ich, ganz bewusst meinen Charakter - jenseits von gesellschaftlicher Anpassung - in meine Kleidung zu legen. Dabei bemerkte ich, dass mir das nur gelang, wenn ich auf mich selbst vertraute, mir von niemandem reinreden ließ. Anfangs unterliefen mir Fehlgriffe. Aber irgendwann entwickelte ich ein Gespür für mich. 

Ab Zürich Hauptbahnhof nahm ich die Straßenbahn und fuhr direkt bis vor das Kunsthaus. (Nicht alle Straßenbahnen sind barrierefrei, 
Rollstuhlfahrer müssen die Anzeigen beachten.) Punkt 10.00 Uhr 
stand ich vor der Kasse und ich war nicht die Einzige, die direkt zur Kassenöffnung vor Ort war. Nein, es hatte sich schon eine Schlange gebildet. Und ich reihte mich ein, hatte freien Eintritt und konnte mir sogar einen nicht mal allzu großen Rollstuhl ausleihen. Damit fuhr ich entspannt durch die Ausstellung, blieb vor vielen der über zweihundert Leihgaben, darunter spektakuläre Stücke aus dem Louvre, dem Kunsthistorischen Museum in Wien, aus Versailles, dem Schloss Ludwig des XIV. und den Berliner Museen stehen und hörte mir die Einsprecher auf dem Audioguides an.

Über 500 Jahre Modegeschichte im Spiegel der Kunst ließ ich auf mich wirken, warf einen kritischen Blick auf extreme Erscheinungen wie Schlitzmode, Schamkapsel, die Krinoline und den Smoking. 
"Mode", so heißt es auf der Internetseite des Kunsthauses, "ist sowohl ökonomischer Faktor wie Seismograph gesellschaftlicher Befindlichkeiten, Ausdruck von Sehnsucht und Instrument für Ein- und Ausschlussmechanismen. Die Ausstellung mit Schwerpunkt im ausgehenden 18. bis Anfang 20. Jahrhundert und Ausläufern in die 
Renaissance und die Gegenwart interessiert sich für die Erscheinungsformen der Mode in jenem Kippmoment, wo sie extrem, 
schrill, laut, getarnt und verpönt ist. In der heutigen Zeit von Globalisierung und Homogenisierung durch «Fast Fashion» strebt die Ausstellung in einer Tour d’Horizon die kritische wie die sinnliche Betrachtung von Kleidern in der Kunst an, die problematische wie auch subversive Momente der Modegeschichte in den Techniken der Malerei, Zeichnung, Plastik, Installation, Fotografie und Film aufgreifen."

Ja, an diesem Kippmoment, wenn Mode extrem, schrill, laut, getarnt und verpönt oder auch sinnlich wird. Dann, ja spätestens dann hat 
Mode uns etwas zu sagen.

(Weitere Berichte und Fotos über meine Reise in die Schweiz folgen in Kürze.)

Donnerstag, 19. April 2018

Mit dem Langstock über den Frankfurter Hauptbahnhof




BildbeschreibungAnna Courtpozanis und ich sitzen auf dem Frankfurter Hauptbahnhof auf der Bank und plaudern angeregt darüber, wie barrierefrei der Bahnhof für Blinde und Sehbehinderte ist.

Zielsicher kommt Anna auf dem Blindenleitstreifen von einem der Gleise auf mich zu. Ich warte auf einer der Plattformen mit Noppen auf sie, die den taktilen Kontrast zwischen dem Leitstreifen und dem angrenzenden Bodenbelag noch erhöhen. Die Plattform soll in diesem Fall blinden oder sehbehinderten Menschen zeigen, dass der Leitstreifen hier eine Abzweigung nimmt. Viel zu oft, so 
erklärt mir Anna, laufen Leute gedankenlos über die Leitstreifen und eben auch über die Noppenplatten, bleiben sogar darauf stehen, so dass es für Menschen, die mit dem Langstock 
unterwegs sind, schwierig ist, sich zu orientieren.




BildbeschreibungDie Plattformen mit Noppen erhöhen den taktilen Kontrast zwischen dem Leitstreifen und dem angrenzenden Bodenbelag. Sie sollen blinden oder sehbehinderten Menschen zeigen, dass der Leitstreifen hier eine Abzweigung nimmt.

Anna ist geübt, sich auf Bahnhöfen und anderswo zurecht zu finden. Die Sozialpädagogin, die bei Web for all jahrelang für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war und jetzt als Jobcoach für Menschen mit Behinderungen arbeitet, ist von Geburt an blind. Heute will sie mir für einen kleinen Film erklären, wie sie sich auf dem Frankfurter Hauptbahnhof orientiert. Dazu bin ich zusammen mit Siegurd Seifert von Inclusio Medien e. V. (www.inclusio-medien.de) nach Frankfurt angereist. Der Film soll als Einspieler für eine Sendung im Rahmen des zu Beginn dieses Jahres gestarteten TV-Projektes "Du hast das Wort" dienen. In diesem Projekt sollen vor allem Menschen mit Behinderungen zu Wort kommen und ihre Sicht auf die Dinge darlegen können. Denn immer noch wird in den Medien - wenn überhaupt - viel zu viel über sie berichtet, statt dass sie es selbst tun könnten.



BildbeschreibungSiegurd Seifert verkabelt Anna, damit sie später im Einspieler trotz aller Nebengeräusche auf dem Bahnhof gut zu verstehen sein wird.

Wir begrüßen uns herzlich und schlendern gemächlich über den Hauptbahnhof. Anna, weil sie sich auf das Leitsystem konzentrieren muss, und ich, weil ich halt eine lahme Ente bin. Ich erzähle Anna, dass ich normalerweise Respekt vor den Besitzern von Langstöcken habe, denn sie sehen nicht, dass ich mit Krücken unterwegs bin, und könnten mich so durchaus zum Fallen bringen. Wir einigen uns, dass ich immer rechts von ihr gehen werde, so können wir uns aufeinander einstellen und ich kann nicht über ihren Stock stolpern. Das klappt super.

Anna zeigt mir zunächst, wie sie das richtige Gleis findet. Dazu muss sie mit ihrem Langstock dem Leitstreifen folgen und die Noppenplatten abzählen, die die Abzweigung zum Gleis jeweils ankündigen. Auf Bahnhöfen mit Treppen, so Anna, findet sie die Nummer des Gleises i. d. R. am Ende des Handlaufes in Brailleschrift. Aber in Frankfurt erreicht man alle Regional- 
und Fernzüge - abgesehen von den S-Bahn-Zügen - auf einer Ebene.

Ich frage Anna, wie sie die Entwicklung der Barrierefreiheit in den letzten Jahren einschätzt. Und was ihr in der Zukunft das Reisen noch weiter erleichtern würde. Sie antwortet mir, dass es viele Fortschritte in dieser Hinsicht gäbe, dass es oft aber ein zu langsamer Prozess sei, um etwas in die richtige Richtung anzustoßen. Für die Zukunft wünsche sie sich zum einen digitale Beschreibungen der Bahnhöfe, damit blinde Menschen sich besser orientieren können. Und denjenigen, die nicht im Internet unterwegs sind, könnten tastbare Orientierungspläne der Bahnhöfe helfen.



BildbeschreibungAußer Siegurd Seifert von Inclusio Medien e. V. (links) und Anna Courtpozanis (rechts) ist Ellen Engel-Kuhn, Leiterin der Kontaktstelle Behindertenangelegenheiten der Deutschen Bahn, mit dabei. Sie erklärt, dass für die Deutsche Bahn blinde und sehbehinderte Menschen eine wichtige Zielgruppe sind.

Ellen Engel-Kuhn, Leiterin der Kontaktstelle Behindertenangelegenheiten der Deutschen Bahn, gibt mir am Ende unseres Rundganges noch ein kleines Interview und erzählt davon, dass mit dem ICE 4, der seit Dezember 2017 im Einsatz ist, Reisende mit Sehbehinderungen sich nun vom Einstieg in den Zug - durch ein Zugfindesignal - bis zum reservierten Platz, zur Toilette oder ins Bordrestaurant über tastbare Hinweise (taktile Piktogramme, Brailleschrift und Leitschienen) leiten lassen können. Damit sei der ICE 4 Vorreiter in der barrierefreien Ausstattung.

Demnächst wird die Sendung "Du hast das Wort", u. a. zum Thema "Barrierefrei Reisen mit der Deutschen Bahn" inklusive des kleinen Filmchens, den wir heute gedreht haben, auf dem Offenen Kanal Alex Berlin zu sehen sein.





Sonntag, 4. März 2018

Winterfreuden in der Kunsthalle Rostock





Seit Tagen lebte ich in der selbst gewählten Verbannung in meiner eigenen Wohnung. Lange hatte es nicht mehr so viel geschneit. Und die Straßen und Wege waren nicht geräumt, geschweige denn gestreut. Doch mehr noch als die nicht gestreuten Wege brachten mich diese teils matschigen, teils vereisten Stellen - unter anderem an den Eingängen zu Supermärkten, in Bussen und Straßenbahnen - dazu, innerlich zu verkrampfen: Was wäre wenn? Mich durchzuckte regelmäßig die Vorstellung, mit den Krücken auszurutschen und der Länge nach hinzusegeln. Meine Verbannung - dann nicht mehr selbst gewählt - würde deutlich länger dauern als ein paar Tage. Und in Abwägung der Frage, ob ich das Risiko dennoch eingehen und meine Termine einhalten oder ob ich lieber zu Hause bleiben und mich den wichtigen Dingen an meinem Schreibtisch widmen sollte, entschied ich mich für Letzteres.

Doch nach vier Tagen war ich mit meiner Geduld am Ende. Ich merkte, wie es in mir dampfte und danach schrie, wieder am wirklichen Leben teilnehmen zu können. Die Sonne lachte. Und - ja - ich liebe diese kalte, trockene Winterluft, die den Kopf freischaufelt und den Geist inspiriert. Und als mich ein guter Freund besuchte, versuchte ich, ihn kurzerhand zu überzeugen, etwas zu unternehmen. Irgendetwas, nur raus aus dem Haus. An seiner Hand mit dem vermeintlich sicheren Gefühl, gehalten zu werden, wenn ich ins Rutschen käme.

Wir recherchierten eine ganze Weile. Denn was kann man ganz spontan im Winter in Rostock unternehmen, wenn man nicht gerade einen langen Spaziergang am Wasser unternehmen will? Die Wege draußen sollten sich schon in Grenzen halten. Ich wollte nicht gleich übertreiben.
Im Kinoprogramm fanden wir nichts Vernünftiges. Ich hätte mir schon gern "Die Verlegerin" angeschaut, obwohl mich der Trailer nicht wirklich umhaute, aber meinen Freund konnte ich nicht überzeugen. Alle anderen Filme kamen für uns beide nicht in Betracht. Im Volkstheater gab es für die Premiere von "Fame" nur Restkarten an der Abendkasse. Und auch sonst fand sich nichts, was uns wirklich lockte.


Doch. Wir wurden fündig. In der Kunsthalle wird gerade die Ausstellung "Erich Kissing und Kerstin. Maler und Modell" gezeigt. Außerdem Illustrationen von Nuria Quevedo zum Buch "Kassandra" von Christa Wolf. Das könnte etwas sein. 



Wir machten uns auf den Weg, Hand in Hand, und es ging besser als gedacht. Ich konnte das Kopfkino verdrängen. Die Wege direkt zur Kunsthalle waren zwar ebenfalls nicht gestreut und das Gelände um die Kunsthalle herum eine einzige Baustelle - zum einen wegen Sanierungsarbeiten an einem Regenwassersammler und einem Teilstück der Trinkwasserleitung. Zum anderen wegen des Neubaus eines Schaudepots zur Erweiterung der Kunsthalle. Hier wird ein 27 x 27 Meter großer Bau entstehen, der auf zwei Etagen rund 1.100 m² Ausstellungs- und Schaudepotfläche schaffen wird. Und das ganze soll barrierefrei werden. Endlich. Es soll dann möglich sein, von diesem Schaudepot aus durch einen Gang stufenlos in die obere Etage der "alten" Kunsthalle zu gelangen. Diese Etage ist jetzt nur über eine hohe Treppe zu erreichen.



Die Ausstellung "Erich Kissing und Kerstin. Maler und Modell" beeindruckte mich sehr - diese surrealen Szenen, in denen der Leipziger Künstler die Beziehung zwischen Mann und Frau verhandelt - großflächig gemalt in feiner Technik. Mehr noch aber berührte mich der zweite Teil der Exposition, die sich mit der Beziehung Kissings und seinem Modell Kerstin beschäftigt, die in 17 seiner Gemälde auftaucht. Ein Modell, auf das auch andere Künstler, insbesondere Fotografen, ihren Blick richteten. Mir gefielen dabei vor allem die Aktfotografien in Schwarz-Weiß von Günter Rössler, dem berühmtesten Aktfotografen der ehemaligen DDR, die die Sinnlichkeit dieser schönen Frau einfangen.

Insgesamt eine sehr sehenswerte Ausstellung, die noch bis zum 1. Mai einlädt. Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, dass mich - neben den Illustrationen von Nuria Quevedo zu Christa Wolfs "Kassandra" - die Ausstellung "Schüler stellen aus" besonders begeisterte. Schüler aus 25 Schulen aus Rostock und dem Umland werfen in 847 Arbeiten eine Blick auf unsere Gesellschaft. Arbeiten, die die Zuversicht geben, dass Menschen heranwachsen, die nachdenkem, was um uns herum passiert.

Ich bin wieder im Leben angekommen. Der Kopf ist frei. Morgen soll es warm werden. Es könnte Blitzeis geben. Für ein paar Stunden. Das schaffe ich.


Montag, 1. Januar 2018

Die Sache mit den guten Vorsätzen



Eine Bekannte hatte mir Anfang Dezember von den "Raunächten" erzählt. Einem alten Brauch aus germanischer Tradition. Die Raunächte, beginnend entweder am 20., 21. Dezember, der Wintersonnenwende, oder am Heiligen Abend, werden als symbolische Tage des Übergangs – wie z. B. vom Leben zum Tod und umgekehrt (Neu- und Wiedergeburt) gesehen – also auch als eine Art Zeit der Auf- oder Abrechnung über die Taten des vergangenen Jahres. An diesen Tagen soll man sich besinnen und auf jeden Fall eine Neubestimmung oder weiterführende Pläne für das neue Jahr finden.

Bisher hatte ich mir immer am Silvestertag überlegt, ob ich mit dem vergangenen Jahr zufrieden sei und was ich mir für das kommende Jahr vornehmen wolle. Meistens war ich mit meinen Vorsätzen kläglich gescheitert. Und so fragte ich mich, warum es uns eigentlich so schwer fällt, unsere Vorsätze tatsächlich zu realisieren. Warum wir uns etwas vornehmen, was wir dann nicht in der Lage sind umzusetzen.

Ich begann, mich intensiv mit den Raunächten auseinanderzusetzen - nicht in einer religiösen oder spirituellen Art und Weise. Nein, ich dachte intensiv darüber nach, was ich in meinem Leben verändern wollte. Und mir gefiel dabei der Ansatz, das nicht an Silvester zu tun, an einem Tag oder nur einem Nachmittag. Nein, ich beschäftigte mich - seit der Wintersonnenwende - damit, was ich im Jahr 2018, das nun vor mir lag, zu tun gedachte. Was ich aus diesem Jahr machen wollte. Dabei wurde mir klar, dass es mir im vergangenen Jahr nicht gelungen war, mich jeden Tag als Erstes nach dem Frühstück für zwei Stunden an den Schreibtisch zu setzen und nur zu schreiben. Das nämlich war mein wichtigster Vorsatz für 2017 gewesen. Statt dessen hatte es immer wieder Dinge gegeben, die scheinbar wichtiger waren. Ich war von einer Sache zur nächsten gehetzt. Und viele Dinge, Artikel und andere Projekte wurden nicht oder unter hohem Zeitdruck realisiert.

In meinem Kalender hatte ich seit einiger Zeit etwa zwanzig Tage um den Jahreswechsel herum grün markiert. Darauf stand "Arbeitsurlaub". Meine Tochter hatte mich für verrückt erklärt, als ich ihr davon erzählte. "Du weißt schon, was Urlaub bedeutet?" hatte sie mich etwas spöttisch gefragt. "Ich habe einfach seit Langem das Bedürfnis, an einem Stück intensiv zu arbeiten. Mich tief hineinzuknien", entgegnete ich ihr. "Dieser Leere zu begegnen, die davon ausgelöst wird, einfach immer nur Dinge zu tun, weil ich sie angeblich tun muss. Und dabei kostbare Lebenszeit zu verschenken."

Als ich am nächsten Morgen aufstand, bereitete ich mir sehr sorgfältig das Frühstück zu, trank in Ruhe meinen Kaffee und setze mich direkt an den Schreibtisch. Und schrieb. Das machte ich viele Tage. Am Abend hatte ich stets das Gefühl, ein Ergebnis in der Hand zu halten. Das machte mich froh, auch an trüben Tagen.

Insofern hoffe ich auf ein kreatives Jahr. Ein Jahr voller Ergebnisse. Und der Überzeugung, dass wir viel mehr in der Hand haben, als wir oft denken. Daran zu glauben, dass wir etwas verändern können, wird mich weiter antreiben,