Sonntag, 4. März 2018

Winterfreuden in der Kunsthalle Rostock





Seit Tagen lebte ich in der selbst gewählten Verbannung in meiner eigenen Wohnung. Lange hatte es nicht mehr so viel geschneit. Und die Straßen und Wege waren nicht geräumt, geschweige denn gestreut. Doch mehr noch als die nicht gestreuten Wege brachten mich diese teils matschigen, teils vereisten Stellen - unter anderem an den Eingängen zu Supermärkten, in Bussen und Straßenbahnen - dazu, innerlich zu verkrampfen: Was wäre wenn? Mich durchzuckte regelmäßig die Vorstellung, mit den Krücken auszurutschen und der Länge nach hinzusegeln. Meine Verbannung - dann nicht mehr selbst gewählt - würde deutlich länger dauern als ein paar Tage. Und in Abwägung der Frage, ob ich das Risiko dennoch eingehen und meine Termine einhalten oder ob ich lieber zu Hause bleiben und mich den wichtigen Dingen an meinem Schreibtisch widmen sollte, entschied ich mich für Letzteres.

Doch nach vier Tagen war ich mit meiner Geduld am Ende. Ich merkte, wie es in mir dampfte und danach schrie, wieder am wirklichen Leben teilnehmen zu können. Die Sonne lachte. Und - ja - ich liebe diese kalte, trockene Winterluft, die den Kopf freischaufelt und den Geist inspiriert. Und als mich ein guter Freund besuchte, versuchte ich, ihn kurzerhand zu überzeugen, etwas zu unternehmen. Irgendetwas, nur raus aus dem Haus. An seiner Hand mit dem vermeintlich sicheren Gefühl, gehalten zu werden, wenn ich ins Rutschen käme.

Wir recherchierten eine ganze Weile. Denn was kann man ganz spontan im Winter in Rostock unternehmen, wenn man nicht gerade einen langen Spaziergang am Wasser unternehmen will? Die Wege draußen sollten sich schon in Grenzen halten. Ich wollte nicht gleich übertreiben.
Im Kinoprogramm fanden wir nichts Vernünftiges. Ich hätte mir schon gern "Die Verlegerin" angeschaut, obwohl mich der Trailer nicht wirklich umhaute, aber meinen Freund konnte ich nicht überzeugen. Alle anderen Filme kamen für uns beide nicht in Betracht. Im Volkstheater gab es für die Premiere von "Fame" nur Restkarten an der Abendkasse. Und auch sonst fand sich nichts, was uns wirklich lockte.


Doch. Wir wurden fündig. In der Kunsthalle wird gerade die Ausstellung "Erich Kissing und Kerstin. Maler und Modell" gezeigt. Außerdem Illustrationen von Nuria Quevedo zum Buch "Kassandra" von Christa Wolf. Das könnte etwas sein. 



Wir machten uns auf den Weg, Hand in Hand, und es ging besser als gedacht. Ich konnte das Kopfkino verdrängen. Die Wege direkt zur Kunsthalle waren zwar ebenfalls nicht gestreut und das Gelände um die Kunsthalle herum eine einzige Baustelle - zum einen wegen Sanierungsarbeiten an einem Regenwassersammler und einem Teilstück der Trinkwasserleitung. Zum anderen wegen des Neubaus eines Schaudepots zur Erweiterung der Kunsthalle. Hier wird ein 27 x 27 Meter großer Bau entstehen, der auf zwei Etagen rund 1.100 m² Ausstellungs- und Schaudepotfläche schaffen wird. Und das ganze soll barrierefrei werden. Endlich. Es soll dann möglich sein, von diesem Schaudepot aus durch einen Gang stufenlos in die obere Etage der "alten" Kunsthalle zu gelangen. Diese Etage ist jetzt nur über eine hohe Treppe zu erreichen.



Die Ausstellung "Erich Kissing und Kerstin. Maler und Modell" beeindruckte mich sehr - diese surrealen Szenen, in denen der Leipziger Künstler die Beziehung zwischen Mann und Frau verhandelt - großflächig gemalt in feiner Technik. Mehr noch aber berührte mich der zweite Teil der Exposition, die sich mit der Beziehung Kissings und seinem Modell Kerstin beschäftigt, die in 17 seiner Gemälde auftaucht. Ein Modell, auf das auch andere Künstler, insbesondere Fotografen, ihren Blick richteten. Mir gefielen dabei vor allem die Aktfotografien in Schwarz-Weiß von Günter Rössler, dem berühmtesten Aktfotografen der ehemaligen DDR, die die Sinnlichkeit dieser schönen Frau einfangen.

Insgesamt eine sehr sehenswerte Ausstellung, die noch bis zum 1. Mai einlädt. Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, dass mich - neben den Illustrationen von Nuria Quevedo zu Christa Wolfs "Kassandra" - die Ausstellung "Schüler stellen aus" besonders begeisterte. Schüler aus 25 Schulen aus Rostock und dem Umland werfen in 847 Arbeiten eine Blick auf unsere Gesellschaft. Arbeiten, die die Zuversicht geben, dass Menschen heranwachsen, die nachdenkem, was um uns herum passiert.

Ich bin wieder im Leben angekommen. Der Kopf ist frei. Morgen soll es warm werden. Es könnte Blitzeis geben. Für ein paar Stunden. Das schaffe ich.