Donnerstag, 20. Juli 2017

Neue Wege gehen

Ich stehe mitten auf dem Holzmarkt in Tübingen, dieser entzückenden kleinen schwäbischen Universitätsstadt mit ihren fast 90.000 Einwohnern, von denen etwa ein Drittel Studierende sind. Die Stadt, deren mittelalterlicher Kern liebevoll restauriert wurde und die bekannt ist für ihren Blumenschmuck. Es sollen rund 300 Blumenkästen und 30 Blumenampeln sein, die Brücken, Geländer und Laternenmasten schmücken, jedes Jahr in wechselnden Farben. In diesem Jahr sind es die Farben Silber, Weiß, Rosa und Blau, dazu etwas Burgund. Wunderschön.



Gerade bin ich auf Empfehlung eines Freundes oben im Innenhof des Schlosses gewesen und habe auf die Stadt hinuntergesehen. Habe die großartige Aussicht genossen. Danach habe ich auf dem Scooter, den mein Freund mir geliehen hat und ohne den ich niemals in so kurzer Zeit so viel hätte sehen können, die Stadt erkundet - holpernd über Kopfsteinpflaster, das es hier in kaum zu überbietendem Ausmaß gibt. Nun schaue ich den Touristen und Einheimischen zu, wie sie auf den Stufen der Stiftskirche sitzen, wie sie in den Cafes Eis essen. Und frage mich, was ich hier eigentlich tue, über 870 Kilometer von zu Hause entfernt.



Ich muss irgendwie verrückt sein. Warum unternehme ich immer wieder diese langen Fahrten? Wo ich doch in einem Bundesland lebe, in das viele Menschen fahren, um dort Urlaub zu machen. Wonach suche ich? Wovor laufe ich weg? Warum habe ich bisher nicht das gefunden, was andere Menschen ihre Wurzeln nennen? Warum fühle ich mich so heimatlos? Bei Volker und Iris, bei denen ich auf meiner Reise einen Zwischenstopp einlegte, scheint mir genau das anders zu sein. Sie haben sich einen Traum verwirklicht und sich unweit von Heidelberg ein kleines Paradies geschaffen, ganz auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten. Und wenn es auch nicht mein Ding wäre, in so einer Einfamiliensiedlung zu leben. Es scheint, als  hätten sie  dieses Haus zu einem festen Anker in ihrem Leben gemacht.

In der Nacht von Freitag zu Samstag hatte Volker nach den saftigen Steaks vom Metzger zu später Stunde noch einen guten pfälzischen Rotwein geöffnet und mich gefragt, was ich in meinem Leben noch erreichen wolle. Bei der Suche nach einer Antwort auf diese direkte Frage nahm das, was bisher nur eine Ahnung gewesen war, in mir klare Umrisse an. Ich spürte deutlich, dass Veränderungen, Entscheidungen für mich anstanden. Dass ich mich aufmachen musste, neue Wege - oder vielleicht alte neu - zu gehen. In jeglicher Hinsicht.

Es war an der Zeit, einen Schalter umzulegen. Und ich beschloss, sobald ich meinen Termin in Tübingen erledigt haben würde, nach Hause zu fahren und dort meine unmittelbare Umgebung zu ergründen. Herauszufinden, was für mich Heimat ist. Was mich ausmachte - mich als Frau aus dem Osten und als Frau mit Behinderung.

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