Sonntag, 24. September 2017

Gegen die Höhenangst - Stück für Stück dem Himmel entgegen




Es war der 2. August. Mein Zug nach Bergen auf Rügen ging früh, schon um 7.00 Uhr. Von dort weiter mit dem Bus bis Prora Forsthaus. Nein, ich wollte an jenem Tag nicht auf den Spuren der Geschichte des "Kolosses von Prora" wandeln. Die Auseinandersetzung damit hob ich mir für einen späteren Zeitpunkt auf. Ich wollte auch nicht darüber befinden, ob es umweltverträglich war, hier mitten in die Natur einen Baumwipfelpfad zu setzen. In die Beantwortung dieser Frage wollte ich mich ebenfalls ausfühlich vertiefen. Ich wollte mir die Sache ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Barrierefreiheit anschauen. Hatte ich doch schon einiges darüber gehört, dass in dieser Beziehung nicht alles optimal umgesetzt worden sei.

Zunächst versuchte ich allerdings, das Knurren des Busfahrers, der an diesem Tag wohl besonders schlechte Laune hatte und von jedem Touristen genervt zu sein schien, zu ignorieren. Der Humor sitzt halt hier oben manchen Leuten nicht gerade auf der Zungenspitze. Den muss man mitunter von ganz tief unten ausbuddeln. Ich wollte mir den Tag aber nicht verderben lassen, denn die Sonne schien endlich einmal ausgiebig, was ja in diesem Sommer nicht allzu oft der Fall war. Frohen Mutes marschierte ich los, immer in der Mitte des Holzweges, der sanft bergan führte. Ich ließ dabei die mächtigen Baumkronen der Buchen auf mich wirken - meine Höhenangst hielt sich noch in Grenzen. Die Besucher können sich hier in einer Höhe von 4 bis 17 Metern über dem Erdboden einen Eindruck der Tier- und Pflanzenwelt des umgebenden Buchenmischwaldes und von den Erlenbrüchen verschaffen.

Ich lief auf dem insgesamt 1.250 Meter langen Pfad an verschiedenen Erlebnisstationen vorbei. An einer Wasserpumpe konnte man zum Beispiel durch Kurbeln nachempfinden, welche Kraft ein Baum aufbringen muss, um Wasser über die Wurzeln bis in die Baumwipfel zu transportieren. Ich selbst probierte das nicht aus, sondern schaute den Besuchern dabei zu, während ich einen Moment auf einer Bank verweilte. Viele Gruppen und Einzelwanderer waren unterwegs, alle interessiert und fröhlich.





Aber dann stand ich vor dem 40 Meter hohen Aussichtsturm, der - erklimmt man ihn - einen weiten Blick in die Rügener Landschaft erlaubt. Sollte ich da hinauf? 1000 Meter waren abermals angezeigt. Ein für mich weiter Weg, denn ich war ja schon ein Stück gelaufen .Ich entschied mich, so weit zu gehen, bis ich nicht mehr konnte - oder bis meine Angst mich übermannen würde. Ich konnte ja jederzeit umkehren. Doch je höher ich kam, umso mehr reizte es mich, weiter zu gehen. Ich schaute immer geradeaus, nur nicht hinunter blicken. Nein, dann durchströmte es mich fast schmerzhaft wie ein elektrischer Impuls. Nur noch zwei Rundungen, nur noch eine....




Oben. 82 Metern über dem Meeresspiegel. Ich schaute in die Ferne, auf das Wasser, erahnte die Kirchturmspitze von Stralsund und die Pylonen der Rügenbrücke. Der Turm wurde einem Adlerhorst nachempfunden, mit etwas Glück soll man von hier die heimischen Seeadler der umliegenden Wälder auf ihren Ausflügen beobachten können. Für mich aber zählte vor allem das Hochgefühl, diesen anstrengenden Marsch bis hier oben geschafft zu haben. Für mich an eine Grenze gekommen zu sein. Und die Weite empfinden zu können.



IGELKRITIK:
Der Baumwipfelpfad ist aus meiner Sicht nur bedingt barrierefrei. Wer den Pfad im Rollstuhl erklimmen will, muss relativ fit und ausdauernd sein, es sei denn, er bekommt Unterstützung. Was ich nicht verstanden habe, ist die Tatsache, dass es nur am Ende des Rundganges einen Fahrstuhl gibt. Man muss also zunächst alle Steigungen überwinden, bevor man den Fahrstuhl nutzen kann. Für blinde oder sehbehinderte Menschen habe ich - außer an der Bushaltestelle - kein Blindenleitsystem finden können. Das ist ein absolutes Manko.


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