Donnerstag, 19. April 2018

Mit dem Langstock über den Frankfurter Hauptbahnhof




BildbeschreibungAnna Courtpozanis und ich sitzen auf dem Frankfurter Hauptbahnhof auf der Bank und plaudern angeregt darüber, wie barrierefrei der Bahnhof für Blinde und Sehbehinderte ist.

Zielsicher kommt Anna auf dem Blindenleitstreifen von einem der Gleise auf mich zu. Ich warte auf einer der Plattformen mit Noppen auf sie, die den taktilen Kontrast zwischen dem Leitstreifen und dem angrenzenden Bodenbelag noch erhöhen. Die Plattform soll in diesem Fall blinden oder sehbehinderten Menschen zeigen, dass der Leitstreifen hier eine Abzweigung nimmt. Viel zu oft, so 
erklärt mir Anna, laufen Leute gedankenlos über die Leitstreifen und eben auch über die Noppenplatten, bleiben sogar darauf stehen, so dass es für Menschen, die mit dem Langstock 
unterwegs sind, schwierig ist, sich zu orientieren.




BildbeschreibungDie Plattformen mit Noppen erhöhen den taktilen Kontrast zwischen dem Leitstreifen und dem angrenzenden Bodenbelag. Sie sollen blinden oder sehbehinderten Menschen zeigen, dass der Leitstreifen hier eine Abzweigung nimmt.

Anna ist geübt, sich auf Bahnhöfen und anderswo zurecht zu finden. Die Sozialpädagogin, die bei Web for all jahrelang für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war und jetzt als Jobcoach für Menschen mit Behinderungen arbeitet, ist von Geburt an blind. Heute will sie mir für einen kleinen Film erklären, wie sie sich auf dem Frankfurter Hauptbahnhof orientiert. Dazu bin ich zusammen mit Siegurd Seifert von Inclusio Medien e. V. (www.inclusio-medien.de) nach Frankfurt angereist. Der Film soll als Einspieler für eine Sendung im Rahmen des zu Beginn dieses Jahres gestarteten TV-Projektes "Du hast das Wort" dienen. In diesem Projekt sollen vor allem Menschen mit Behinderungen zu Wort kommen und ihre Sicht auf die Dinge darlegen können. Denn immer noch wird in den Medien - wenn überhaupt - viel zu viel über sie berichtet, statt dass sie es selbst tun könnten.



BildbeschreibungSiegurd Seifert verkabelt Anna, damit sie später im Einspieler trotz aller Nebengeräusche auf dem Bahnhof gut zu verstehen sein wird.

Wir begrüßen uns herzlich und schlendern gemächlich über den Hauptbahnhof. Anna, weil sie sich auf das Leitsystem konzentrieren muss, und ich, weil ich halt eine lahme Ente bin. Ich erzähle Anna, dass ich normalerweise Respekt vor den Besitzern von Langstöcken habe, denn sie sehen nicht, dass ich mit Krücken unterwegs bin, und könnten mich so durchaus zum Fallen bringen. Wir einigen uns, dass ich immer rechts von ihr gehen werde, so können wir uns aufeinander einstellen und ich kann nicht über ihren Stock stolpern. Das klappt super.

Anna zeigt mir zunächst, wie sie das richtige Gleis findet. Dazu muss sie mit ihrem Langstock dem Leitstreifen folgen und die Noppenplatten abzählen, die die Abzweigung zum Gleis jeweils ankündigen. Auf Bahnhöfen mit Treppen, so Anna, findet sie die Nummer des Gleises i. d. R. am Ende des Handlaufes in Brailleschrift. Aber in Frankfurt erreicht man alle Regional- 
und Fernzüge - abgesehen von den S-Bahn-Zügen - auf einer Ebene.

Ich frage Anna, wie sie die Entwicklung der Barrierefreiheit in den letzten Jahren einschätzt. Und was ihr in der Zukunft das Reisen noch weiter erleichtern würde. Sie antwortet mir, dass es viele Fortschritte in dieser Hinsicht gäbe, dass es oft aber ein zu langsamer Prozess sei, um etwas in die richtige Richtung anzustoßen. Für die Zukunft wünsche sie sich zum einen digitale Beschreibungen der Bahnhöfe, damit blinde Menschen sich besser orientieren können. Und denjenigen, die nicht im Internet unterwegs sind, könnten tastbare Orientierungspläne der Bahnhöfe helfen.



BildbeschreibungAußer Siegurd Seifert von Inclusio Medien e. V. (links) und Anna Courtpozanis (rechts) ist Ellen Engel-Kuhn, Leiterin der Kontaktstelle Behindertenangelegenheiten der Deutschen Bahn, mit dabei. Sie erklärt, dass für die Deutsche Bahn blinde und sehbehinderte Menschen eine wichtige Zielgruppe sind.

Ellen Engel-Kuhn, Leiterin der Kontaktstelle Behindertenangelegenheiten der Deutschen Bahn, gibt mir am Ende unseres Rundganges noch ein kleines Interview und erzählt davon, dass mit dem ICE 4, der seit Dezember 2017 im Einsatz ist, Reisende mit Sehbehinderungen sich nun vom Einstieg in den Zug - durch ein Zugfindesignal - bis zum reservierten Platz, zur Toilette oder ins Bordrestaurant über tastbare Hinweise (taktile Piktogramme, Brailleschrift und Leitschienen) leiten lassen können. Damit sei der ICE 4 Vorreiter in der barrierefreien Ausstattung.

Demnächst wird die Sendung "Du hast das Wort", u. a. zum Thema "Barrierefrei Reisen mit der Deutschen Bahn" inklusive des kleinen Filmchens, den wir heute gedreht haben, auf dem Offenen Kanal Alex Berlin zu sehen sein.