Sonntag, 5. Juni 2022

Zu Hause bleiben möchte niemand

Alternativtext: Auf dem Foto ist der Reisebus der Reiseagentur Carsten Müller mit ausgefahrenem Hebe-Lift zu sehen.
Copyright: Carsten Müller


Verreisen Menschen mit Behinderungen in Zeiten der Corona-Pandemie überhaupt noch? In einer Umfrage der Statista GmbH zum Einfluss der Pandemie auf das Reiseverhalten der Menschen insgesamt aus Deutschland – also unabhängig von einer Behinderung - gaben im Jahr 2021 rund 45 Prozent der Befragten an, dass sie die Risiken der Pandemie zum Anlass nehmen, lieber zu Hause zu bleiben. Einer Hochrechnung dieses führenden Anbieters für Markt- und Konsumentendaten zufolge verzeichnete die Tourismusbranche allein zwischen den Monaten März bis Dezember 2020 Umsatzeinbußen in Höhe von insgesamt rund 69 Milliarden Euro in Deutschland. Ob dabei Menschen mit Behinderungen noch stärker auf das Reisen verzichtet haben, kann man zwar vermuten, verlässliche Zahlen gibt es aber nicht. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass diese Personengruppe besonders vorsichtig mit Entscheidungen bezüglich Reisen umgeht und ihren Urlaub eher im heimischen Umfeld verbringt. Gibt es dennoch Hoffnung?

 

Für uns alle verständliche Kontaktsperren und allgemeine Ausgangsbeschränkungen, weltweite Reisewarnungen und ein Abraten von nicht-notwendigen Reisen im In- und Ausland führten innerhalb der letzten zwei Jahre dazu, dass zahlreiche Einrichtungen aus dem gastronomischen und Touristischen Bereich vorübergehend schließen oder den Regelbetrieb stark einschränken mussten. Das Hotel- und Gastgewerbe entwickelte sich dadurch zu einer von der Corona-Krise am stärksten betroffenen Branchen insgesamt. Da steht die Frage im Raum, ob wir im Sommer dieses Jahres wieder - ganz normal - durch die Welt düsen und uns wiedersehen können. Oder müssen wir weiterhin mit Einschränkungen rechnen? Und was bedeutet das konkret für Menschen mit Behinderungen? Wie sind die Unternehmen der Reisewirtschaft, die speziell auf barrierefreien Tourismus setzen, durch die Krise gekommen?

 

Seehotel Rheinsberg setzt auf kurzfristige Buchungen

„Im Moment haben wir unser Hotel freiwillig geschlossen,“ erklärt mir Peter Vogt. Als Direktor des Seehotels Rheinsberg, das am Grienericksee im Naturpark Stechlin-Ruppiner Land im Norden Brandenburgs liegt, ist er jemand, der tagein, tagaus mit den Reisebedürfnissen von Menschen mit Behinderungen konfrontiert ist. Denn das Hotel ist vielen Reisenden mit Einschränkungen bekannt als DAS Urlaubsdomizil mit seinen umfassenden barrierefreien Vorkehrungen. „Die Vorsicht und Ungewissheit sind zu groß,“ fügt er hinzu. Über Weihnachten und Sylvester allerdings wäre das Hotel geöffnet gewesen. Viele der Stammkunden seien froh gewesen, überhaupt irgendwo hinfahren zu können. Margot Pietsch ist eine von ihnen. Die Brandenburgerin, die aufgrund einer Poliomyelitis gehbehindert ist, war mit ihrem Aufenthalt sehr zufrieden. Die Urlaubstage, die sie hier mit einem Freund verbrachte, der im Rollstuhl sitzt, wären aufgrund des Hygienekonzeptes problemlos verlaufen. So hätten die Gäste während des Abendessens, das wegen der Abstandsregeln in zwei Durchgängen stattfand, an fest zugewiesenen Tischen gesessen, wodurch die gesamte Atmosphäre sehr entspannt war. Auch bei der Silvesterfeier sei alles wunderbar geregelt gewesen. Und am Neujahrstag hätten sie sogar eine Dampferfahrt mit der Reederei Halbeck unternommen. Auf der seit einiger Zeit barrierefrei umgebauten MS Remus können sogar 15 Rollstuhlfahrer das Sonnendeck nutzen. Dafür war es zu dieser Jahreszeit aber wohl etwas frisch.

„Brandenburg ist in dieser Hinsicht gnädig gewesen. Zumal die Gruppe von Reisenden mit Behinderungen hinsichtlich ihres Impfstatus´ ganz weit vorn ist“, erklärt Vogt. Jetzt allerdings, Anfang des neuen Jahres, sei alles sehr zögerlich. Die Leute würden abwarten, wie sich die Regeln entwickelten. Hinzu käme die Frage, was am Urlaubsort überhaupt noch möglich sei. In Rheinsberg sei es zumindest jetzt im Winter erschreckend ruhig. Die Gastro zum Beispiel hätte es im Moment sehr schwer.

Aber so hart die Reisebranche auch von der Pandemie betroffen sei: „Der Sommer letzten Jahres war für uns überdurchschnittlich gut, die Menschen haben alles nachgeholt. Viele entschieden sich bewusst, ihren Urlaub im Inland zu verbringen“, schätzt Vogt ein. Das hätte über viele Einbußen hinweggeholfen. Gleichsam spricht er die Hoffnung aus, dass das auch in diesem Sommer so sein möge. „Die Buchungen waren so gut wie noch nie und nun hoffen wir, dass der Trend sich in diesem Jahr wiederholt.“ Natürlich könne man das nicht genau voraussagen, aber Vogt sei hoffnungsvoll, dass viele Urlauber kurzfristig buchen würden.

Die selbst gewählte Schließzeit nutzt das Hotel unterdessen für Sanierungs- und Baumaßnahmen, zum Beispiel im Schwimmbad. Durch Kurzarbeit und Überbrückungsgelder und den Umstand, dass es mit der Donnersmarck-Stiftung einen starken Eigentümer gäbe, hätte es das Hotel nicht so hart getroffen wie vielleicht andere Unternehmen. Insofern gibt es – zumindest in diesem Fall – Grund zum Optimismus. Außerdem, so Vogt, könnten sich die zukünftigen Gäste auf das sanierte Schwimmbad, auf neue Möbel und größere Fernseher in den ohnehin gemütlichen Zimmern freuen. 

 

Urlaubstrend Inlandreisen

Es sieht so aus, als würde der Trend ohnehin in Richtung Inlandreisen gehen, was sicherlich auch der Umwelt zugutekäme. Über die Hälfte aller Urlaubsreisen fand 2020 in Deutschland statt – so viele wie zuletzt in den 1970er Jahren. Allerdings war die Anzahl der Reisenden insgesamt geringer. Betrachtet man allein die Marktanteile, so wuchs der Anteil an Inlandsreisenden – im Vergleich zum Vorjahr – um über 20 Prozentpunkte auf 56 Prozent. Bayern, Niedersachen und Baden-Württemberg konnten ihre Marktanteile dabei jeweils in etwa verdoppeln. Neben den traditionellen Ferien-Bundesländern im Norden und Süden des Landes wurden 2020 auch andere Feriengebiete massenhaft besucht. So verbrachten beispielsweise doppelt so viele Bundesbürger ihren Haupturlaub in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen oder Sachsen wie in der Türkei. In Brandenburg waren mehr Urlauber als in Kroatien und nach Hamburg zog es genauso viele Touristen wie nach Frankreich.

 

Die Kunden warten auf uns

Carsten Müller, Chef der gleichnamigen Berliner Reiseagentur, ist Spezialist für barrierefreie Busreisen. Er bietet sowohl Inlands- als auch Auslandsreisen an, die er zusammen mit seiner Ehefrau im rollstuhlgerechten Reisebus, ausgestattet mit Hebe-Lift, bequemen Sitzen, Sicherheitsgurten und Bodenverankerungen für die Personen, die im Rollstuhl sitzend reisen, unternimmt. Sein Schwerpunkt liegt dabei eigentlich auf Auslandsreisen. Denn viele seiner Kunden reisen zwar selbständig durch Deutschland, vertrauen aber auf seine Kompetenz im Ausland, um die Reiseziele zu besuchen, die sie sich allein nicht zutrauen. Für Müller waren die letzten Monate eine sehr schwere Zeit, denn während der Pandemie waren touristische Busreisen über Monate hinweg gar nicht möglich. Dank der Wirtschaftshilfen ist es ihm aber gelungen, durch die Krise zu kommen, wie er versichert. Und unter Einhaltung der Hygieneregeln sei auch vieles wieder möglich. Sein neuer klimafreundlicher Reisebus, den er sich erst 2019 angeschafft hat, verfüge zudem über ein patentiertes Luftreinigungssystem, das für nahezu bakterien- und virenfreie Luft sorge.

Jetzt ist er gerade dabei, den Katalog für 2022 fertigzustellen. „Dieses Mal sind wir damit sehr spät dran, aber die Situation ist einfach nicht vorhersehbar. So schreiben wir unser Programm immer wieder neu und passen es den aktuellen Bedingungen an.“ Momentan geht Müller davon aus, die Reisen auch durchführen zu können. „Ob wir eine Reise letztendlich absagen müssen, wissen wir natürlich nicht. Das hängt von der Entwicklung der Pandemie ab.“ Die Kunden seien ihm und seiner Frau aber sehr treu geblieben. Immer wieder riefen sie an und versicherten, dass sie auf die Angebote warten würden. Denn zu Hause bleiben wolle niemand.

Allerdings hat Müller im Moment den Schwerpunkt auf Inlandreisen verlagert. Die Gefahr, im Ausland zu erkranken, sei für viele zu groß. Es mache auch keinen Sinn, Auslandsreisen zu planen, die dann möglicherweise doch abgesagt werden müssen. Städtereisen wie die nach Paris und London habe er vorerst völlig aus dem Programm genommen. „Wir wissen nicht, was nächste Woche ist. Besonders Städtereisen sind da noch mal komplizierter hinsichtlich der Vorbereitung“, fügt er hinzu, da wolle er kein Risiko eingehen. „Wir müssen unsere Reisen ohnehin immer etwa ein dreiviertel Jahr im Voraus planen, weil wir uns alles selbst vor Ort ansehen, ob die Gegebenheiten auch tatsächlich barrierefrei sind. Da überlassen wir nichts dem Zufall.“ Dennoch: Zur Freude seiner Kunden gibt es eine ganze Reihe von Reiseangeboten jenseits der deutschen Grenze. Die geplante Reise in die Schweiz im Sommer dieses Jahres zum Beispiel war innerhalb eines Monats ausgebucht.

„Die Kunden warten auf uns, das ist uns Ansporn“, ist sich Müller sicher. Dass die Menschen – egal ob mit oder ohne Behinderungen – auch in Zukunft ihrer Reiselust frönen werden, mit dieser Überzeugung steht er nicht allein. Mit Rückblick auf das vergangene Jahr gehen Touristiker allgemein davon aus, dass sich im kommenden Frühjahr und Sommer die Lage entspannen und Reisen mit weniger Einschränkungen für alle Gäste wieder möglich sein werden.

 

Weitere Informationen:

Auf der Website https://reisen-fuer-alle.de/ finden Sie fast 2500 geprüfte Urlaubs- und Ausflugsideen in Deutschland. Natur, Museen, Hotels, Städte und vieles mehr. Für Menschen mit Behinderungen, für Menschen, die auch im Alter verreisen und etwas erleben wollen; für Groß und Klein; für jedermann. Alle Betriebe sind nach dem deutschlandweiten Kennzeichnungssystem "Reisen für Alle" erhoben und zertifiziert. Sie finden somit geschulte und qualifizierte Gastgeber und zu jedem einzelnen Angebot eine ausführliche Beschreibung hinsichtlich Zugänglichkeit und Nutzbarkeit. Und dies mit genauen Maßangaben, vielen Fotos und detaillierten Angaben, gerade für die oftmals besonders wichtigen Teile wie Bäder und WCs.

Sonntag, 30. Januar 2022

Das Fernweh hat mich wieder ...

Es wird Zeit, wieder auf Reisen zu gehen. Die Erinnerungen an vergangene Unternehmungen spuken seit Tagen in meinem Kopf herum. Aber verreisen Menschen mit Behinderungen in Zeiten der Corona-Pandemie überhaupt noch? In einer Umfrage der Statista GmbH zum Einfluss der Pandemie auf das Reiseverhalten der Menschen insgesamt aus Deutschland – also unabhängig von einer Behinderung - gaben im Jahr 2021 rund 45 Prozent der Befragten an, dass sie die Risiken der Pandemie zum Anlass nehmen, lieber zu Hause zu bleiben. Einer Hochrechnung von Statista GmbH zufolge verzeichnete die Tourismusbranche allein zwischen den Monaten März bis Dezember 2020 Umsatzeinbußen in Höhe von insgesamt rund 69 Milliarden Euro in Deutschland. Ob dNwabei Menschen mit Behinderungen noch stärker auf das Reisen verzichtet haben, kann man zwar vermuten, verlässliche Zahlen gibt es aber nicht. Es ist aber wohl davon auszugehen, dass diese Personengruppe besonders vorsichtig mit solchen Entscheidungen umgeht und ihren Urlaub eher im heimischen Umfeld verbringt. Gibt es dennoch Hoffnung?

Darauf werde ich versuchen, in den nächsten Tagen an dieser Stelle eine Antwort zu geben.

Freitag, 2. August 2019

Urlaub in Sicht

Ich möchte Euch einen kleinen Vorgeschmack auf meine nächsten Wochen geben. Denn in einer Woche beginnt mein Urlaub. Und von meinen Reiseerlebnissen werdet Ihr hier lesen können.



Alternativtext: 
Auf diesem Foto bin ich in sommerlichem Look 
mit hochgesteckter Sonnenbrille zu sehen. 
Dieses Foto hat dankenswerterweise Olaf Krostitz gemacht. 


Bereits in der nächsten Woche findet hier in Rostock ein Ereignis statt, das ich genauer unter die Lupe nehmen werde: die Hanse Sail. Sie beginnt am 8. August. Ich werde der Frage nachgehen: Wie barrierefrei ist die Sail und welche Ausfahrten sind auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen möglich.



Alternativtext: 
Dieses Foto zeigt einen alten Windjammer, 
im Hafen liegend, die Segel sind nicht gesetzt. 
Ich nahm es bei der Hanse Sail im letzten Jahr auf. 


Am Freitagabend will ich dann bereits in Koserow sein und dort das Wochenende in der Hansekogge verbringen. Unter anderem bei einer Theateraufführung von Klassik am Meer in der kleinen Dorfkirche. Von dort geht es weiter in das uralte Fischerdorf Altwarp zwischen Stettiner Haff und Warpser See - dem nordöstlichsten Punkt auf dem deutschen Festland. In einer Ferienwohnung direkt am Strand will ich nicht nur schreiben. Ich will die unberührte Natur einfangen. Meine Kamera liegt schon erwartungsvoll bereit.



Alternativtext: 
Am Koserower Strand, direkt neben der Seebrücke, kann man sich einen Strandrollstuhl ausleihem.
Marion Jarmer (Copyright) hat mich im letzten Jahr in diesem Rollstuhl fotografiert. Zu sehen sind auf dem Foto ebenfalls die Kunststoffplatten, auf denen man gut bis zum Meer gelangen kann.

Das sind nur ein paar Highlights, auf die ich mich in diesem Sommer freue. 
Wie gesagt, ich werde berichten und hoffe, ich kann Euch damit ein wenig unterhalten. 
Bis bald herzlich 
Eure Margit Glasow

Samstag, 29. Dezember 2018

Zeit für Veränderungen




Ich hatte überlegt, ob ich in diesem Jahr zum Jahreswechsel endlich einmal nach Lüdinghausen in das Kloster der Franziskanerinnen fahren sollte. Nicht, weil ich gläubig geworden wäre. Nein, ich wollte zur Ruhe kommen, nachdenken, längst überfällige Entscheidungen treffen. Ich wollte - wie in meinem letzten Beitrag beschrieben - den roten Faden finden. Eine gute Freundin hatte mir schon vor Jahren dieses Frauenkloster empfohlen. Doch bisher war es nur bei diesem Gedanken im Hinterkopf geblieben. Und immer, wenn ich seitdem über ein solches Vorhaben sprach, lachten mich meine Freunde aus. Ich fühlte mich missverstanden.

In diesem Jahr stand ich tatsächlich davor, diese Idee in die Tat umzusetzen. Denn ich konnte nicht so weitermachen wie bisher. Dazu vergingen die Jahre zu schnell. Ich wollte nicht länger auf 1000 Hochzeiten herumtanzen. Denken, alles sei wichtig. Und am Ende begreifen, dass es nur eine flüchtige Berührung war. Nein, ich wollte mich bei einigen Dingen in die Tiefe graben. Allerdings fragte ich mich, ob ich mich schon wieder auf die Reise begeben wollte. Mein Körper sagte mir: Setz dich auf deine Couch und denke aus dieser Perspektive darüber nach, was du willst – mit Abstand. Ab und zu steh auf und sortiere deine Bücher und Unterlagen. Nimm sie in die Hand und frage Dich: Sind diese Dinge noch wichtig? Für Dich? Was kannst Du schaffen? Was willst Du schaffen?



So entschloss ich mich eines morgens, meine Wohnung für ein paar Tage zu "meinem" Kloster zu machen. Ausmisten. Sortieren. Ich nahm Bücher in die Hand, von denen ich schon lange nicht den Staub gewischt hatte. Ich grub mich in alte Zeitungen und Zeitschriften, begann, unendlich viel Papierkram wegzuwerfen.



Und ließ dabei das alte Jahr Revue passieren. Ich stellte fest, dass es ein sehr bewegtes, ein durchaus erfolgreiches Jahr gewesen war. Und begriff: Wenn mir eins weiterhin wichtig war, so war es der Wunsch, Geschichten zu erzählen. Geschichten von Menschen abseits des Mainstreams. Egal ob mithilfe des geschriebenen oder des gesprochenen Wortes. Da war die Erfahrung Radio, die ich seit knappen zwei Jahren machte. Welch wunderbares Medium, Menschen die Gelegenheit zu geben, über sich und darüber zu reden, was ihnen wichtig war. Welch Hochgefühl, im Studio am Pult zu sitzen und mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen. Das wollte ich auch in Zukunft tun.

Und da war die Erfahrung, mit dem Verein Inclusio Medien e. V. (www.inclusio-medien.de) die Polit-Talk-Runde "Du hast das Wort" nicht nur zu moderieren, sondern auch inhaltlich zu gestalten, eigene Themen zu setzen, Gäste auszuwählen und einzuladen. Nach genau zwölf Monaten konnte ich sagen: Ich freue mich auf weitere zwölf Monate. Für die Radio- und die TV-Sendung auf dem Offenen Kanal Alex Berlin nehme ich es gern auf mich, mehrmals im Monat im fünf Uhr aufzustehen und nach Berlin zu fahren.

Das alles aber hat seinen Preis. Ein paar Dinge werde ich nicht mehr machen. Dafür habe ich Entscheidungen getroffen, die nicht jeder begrüßen und vielleicht auch nicht jeder verstehen wird. Aber wie sagte neulich jemand treffend zu mir: Einen Tod stirbt man immer.



Liebe Freundinnen, liebe Freunde, ich danke Euch für Euer Vertrauen.
Für das neue Jahr wünsche ich Euch viel Kraft und Freude bei der Verwirklichung der Dinge, die Euch wichtig sind.
Bleibt mir gewogen! Und bleibt vor allem kritisch!

Herzliche Grüße
Eure Margit Glasow

Montag, 24. Dezember 2018

Weihnachten - abtauchen, schreiben, Musik hören oder weiterlaufen?

Copyright: Hans-Peter Stavenhagen

Ich sitze auf meiner Couch und denke darüber nach, wie sinnvoll das nun alles mit Weihnachten ist. Ich hatte mich so auf die freien Tage gefreut, wollte meine Wohnung ausmisten, von überflüssigem Zeug, vor allem Papier, von Unwesentlichem befreien. Gedanken ordnen, schreiben und darüber nachdenken, was mir in der Zukunft wichtig ist, welchen Dingen ich mich intensiv zuwenden will, welche eher vernachlässigen. Aber irgendwie laufe ich mir selbst hinterher, ein Termin - Geburtstage, Weihnachtsfeiern und so weiter - jagt den nächsten. Zum Teil alles schöne Sachen. Gestern zum Beispiel war ich mit einem meiner Enkel und meiner Tochter in der Rostocker StadtHalle. Wir haben uns den "Traumzauberbaum", ein Familienmusical mit dem Reinhard Lakomy-Ensemble, angesehen. Ein toller Nachmittag.

Trotzdem - ich hatte mir die Tage anders vorgestellt. Nicht nur Dinge abarbeiten, sondern auf mich wirken lassen. Den roten Faden finden. Davon bin ich weit entfernt. Allerdings habe ich in diesem Jahr etwas getan, was ich noch nie getan habe. Ich habe mir selbst ein Weihnachtsgeschenk gemacht. Ich habe mir einen Wunsch erfüllt, den ich schon lange hegte, dessen Umsetzung ich aber immer wieder verschob. In meinem Wohnzimmer steht jetzt eine Stereoanlage und ich bin total entzückt, welch großartiger Klang man diesem Teil entlocken noch. Und noch besser. Endlich steht daneben ein Plattenspieler und ich kann meine alten Platten abspielen. Zeit für mich. Ich habe seitdem den Fernseher nicht mehr eingeschaltet, sondern sitze einfach nur so da und lausche. Und mache eine Entdeckung nach der anderen. Zum Beispiel die großartige Tina Diko. Sting sowieso. John Lee Hooker und viele mehr. Und während ich hier so auf meiner Couch sitze und eigentlich über gar nichts nachdenke, die Gedanken einfach vorbeiziehen lassen, wird einiges einfacher, klarer.

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Frohe Weihnachten und eine geruhsame, kreative Zeit wünsche ich allen, die diese Zeilen lesen. Ich freue mich darauf, Euch alle im neuen Jahr wiederzusehen. Mit Euch zu reden.


Dienstag, 20. November 2018

Handbike oder Spekulatius?


Bildbeschreibung: Handbike-Fahren - das heißt, Freiheit und Geschwindigkeit erleben.
Auf dem Foto bin ich auf einem Handbike bei einer Probefahrt zu sehen.

Dass ich eine lahme Ente bin, weiß ja inzwischen fast jeder. Aber es gibt ein paar mehr Herausforderungen als Treppen, denen ich mich im Alltag stellen muss, um mich gesund und wohl zu fühlen. So kämpfe ich zum Beispiel darum, jedes zusätzliche Kilo zu vermeiden, um mich beim Laufen nicht noch mehr zu behindern. Aber damit nicht genug habe ich mir im Laufe der Jahre auch ein paar Unverträglichkeiten zugelegt, die - insbesondere, wenn man wie ich viel auf Reisen ist und sich auf Bahnhöfen rumtreibt - nicht einfach zu handhaben sind. Und ehrlich gesagt, in den letzten Wochen habe ich nicht ganz so diszipliniert gelebt wie gewöhnlich. Die Waage steht zwar drohend im Schlafzimmer, aber ich mache momentan einen Bogen drumherum und gestatte mir zu viele Ausnahmen. ´Ab morgen´, rede ich mir dann immer ein. Aber ich merke, ich bin unentschlossen.

Bildbeschreibung: Lügt die Waage oder will sie mich ärgern?
Auf dem Bild ist eine Waage in einem alten Design zu sehen, die etwa ein Kilogramm anzeigt.

Gerade als ich gestern auf der Couch sitze und von diesen leckeren selbst gebackenen Keksen esse, klingelt mein Handy. "Ich bin der Kundenberater für Mecklenburg-Vorpommern von dem Handbike, das Sie sich auf der Messe in Düsseldorf ausgesucht haben. Ich würde gern am Freitag bei Ihnen vorbeikommen und eine Probefahrt mit Ihnen machen", höre ich am anderen Ende der Leitung eine freundliche Stimme. "Würde das am Freitag für Sie passen?" Ach du grüne Neune, durchfährt es mich. Damit habe ich gar nicht gerechnet. Ich will doch am Wochenende nach Usedom fahren. Dort habe ich am Samstag einen wichtigen Termin. "Leider nein", entgegne ich bedauernd, "ab Freitag bin ich in der Hansekogge in Koserow." "Ach, das ist kein Problem", bekomme ich zur Antwort, "ich kann auch nach Koserow kommen. Am Samstagvormittag könnten wir uns vor Ort treffen." Ich bin begeistert und sage zu.

Nachdem ich den Hörer aufgelegt habe, schießen die Gedanken durch meinen Kopf. Jetzt wird es ernst. Spätestens seit ich im Sommer noch einmal mit dem Handbike einer Freundin gefahren bin, auf der REHACARE in Düsseldorf weitere verschiedene Modelle ausprobiert und irgendwann mit einem Freund eine Wette darüber abgeschlossen habe, ob es mir im nächsten Jahr gelingen wird, stolze Besitzerin eines solchen Gefährtes zu sein, bin ich fest entschlossen, alles dafür zu tun, und habe mich eigentlich auch schon für ein bestimmtes Modell entschieden. Mein Ziel, meine Sehnsucht ist es, meinen Aktionsradius zu erweitern, draußen - in der Natur, am Wasser - unterwegs zu sein. Die Freiheit zu spüren, unabhängig zu sein. Geschwindigkeit zu erleben. Das ist etwas anderes als langsam spazieren zu gehen. Und ich will im Sommer 2019 durch die Mecklenburger Landschaften fahren, Orte erkunden und sie und die dazugehörigen Hotels und Kulturangebote auf ihre Barrierefreiheit testen. Ich will darüber erzählen, schreiben.

Bildbeschreibung:  Auf dem Foto sieht man eine Stulle mit Avokadocreme, grünem Salat, Kräutern und Radieschen.

Immerhin bin ich vor ein paar Tagen bereits im Sanitätshaus gewesen und habe schon einmal die Sitzbreite meines Hinterns vermessen lassen. Doch bin ich überhaupt fit genug? Werde ich es schaffen, an einem Tag viele Kilometer zu schrubben, um von einem Ort zum anderen zu gelangen? Fakt ist, ich muss etwas für mich tun. Mehr als bisher. Ab sofort wird sich - wieder - gesund ernährt. Jetzt ist Schluss mit lustig.


Das Ziel ist klar!
Bildbeschreibung: Ich teste ein Handbike auf der Messe in Düsseldorf.



Donnerstag, 3. Mai 2018

Inspiration durch «Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst»



Eins war für mich klar: Wenn ich nach Zürich fahre, muss ich ins 
Kunsthaus. Ich liebe Kunstausstellungen und lasse mich gern inspirieren. Dass ich diesmal auf eine Ausstellung stieß, die mich besonders interessierte, war ein glücklicher Umstand: «Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst». 




Ich muss dazu erklären, dass ich mich in der Vergangenheit lange schwer damit getan habe, meinen eigenen Stil zu finden. Wie sollte es auch anders sein, bekam ich doch als Kind immer nur die Maßgabe, mich so anzuziehen, dass besonders "kritische" Körperteile verdeckt wurden: Auf keinen Fall Röcke, die die Beine frei lassen! Und bitte unauffällig! Immer wurde mir gesagt, was gut für mich war. Das führte dazu, dass ich einfach nur verunsichert war und zielsicher das Falsche wählte. Erst mit den Jahren, aus der 
Überlegung heraus, wer ich denn sein wolle, begann ich, ganz bewusst meinen Charakter - jenseits von gesellschaftlicher Anpassung - in meine Kleidung zu legen. Dabei bemerkte ich, dass mir das nur gelang, wenn ich auf mich selbst vertraute, mir von niemandem reinreden ließ. Anfangs unterliefen mir Fehlgriffe. Aber irgendwann entwickelte ich ein Gespür für mich. 

Ab Zürich Hauptbahnhof nahm ich die Straßenbahn und fuhr direkt bis vor das Kunsthaus. (Nicht alle Straßenbahnen sind barrierefrei, 
Rollstuhlfahrer müssen die Anzeigen beachten.) Punkt 10.00 Uhr 
stand ich vor der Kasse und ich war nicht die Einzige, die direkt zur Kassenöffnung vor Ort war. Nein, es hatte sich schon eine Schlange gebildet. Und ich reihte mich ein, hatte freien Eintritt und konnte mir sogar einen nicht mal allzu großen Rollstuhl ausleihen. Damit fuhr ich entspannt durch die Ausstellung, blieb vor vielen der über zweihundert Leihgaben, darunter spektakuläre Stücke aus dem Louvre, dem Kunsthistorischen Museum in Wien, aus Versailles, dem Schloss Ludwig des XIV. und den Berliner Museen stehen und hörte mir die Einsprecher auf dem Audioguides an.

Über 500 Jahre Modegeschichte im Spiegel der Kunst ließ ich auf mich wirken, warf einen kritischen Blick auf extreme Erscheinungen wie Schlitzmode, Schamkapsel, die Krinoline und den Smoking. 
"Mode", so heißt es auf der Internetseite des Kunsthauses, "ist sowohl ökonomischer Faktor wie Seismograph gesellschaftlicher Befindlichkeiten, Ausdruck von Sehnsucht und Instrument für Ein- und Ausschlussmechanismen. Die Ausstellung mit Schwerpunkt im ausgehenden 18. bis Anfang 20. Jahrhundert und Ausläufern in die 
Renaissance und die Gegenwart interessiert sich für die Erscheinungsformen der Mode in jenem Kippmoment, wo sie extrem, 
schrill, laut, getarnt und verpönt ist. In der heutigen Zeit von Globalisierung und Homogenisierung durch «Fast Fashion» strebt die Ausstellung in einer Tour d’Horizon die kritische wie die sinnliche Betrachtung von Kleidern in der Kunst an, die problematische wie auch subversive Momente der Modegeschichte in den Techniken der Malerei, Zeichnung, Plastik, Installation, Fotografie und Film aufgreifen."

Ja, an diesem Kippmoment, wenn Mode extrem, schrill, laut, getarnt und verpönt oder auch sinnlich wird. Dann, ja spätestens dann hat 
Mode uns etwas zu sagen.

(Weitere Berichte und Fotos über meine Reise in die Schweiz folgen in Kürze.)

Donnerstag, 19. April 2018

Mit dem Langstock über den Frankfurter Hauptbahnhof




BildbeschreibungAnna Courtpozanis und ich sitzen auf dem Frankfurter Hauptbahnhof auf der Bank und plaudern angeregt darüber, wie barrierefrei der Bahnhof für Blinde und Sehbehinderte ist.

Zielsicher kommt Anna auf dem Blindenleitstreifen von einem der Gleise auf mich zu. Ich warte auf einer der Plattformen mit Noppen auf sie, die den taktilen Kontrast zwischen dem Leitstreifen und dem angrenzenden Bodenbelag noch erhöhen. Die Plattform soll in diesem Fall blinden oder sehbehinderten Menschen zeigen, dass der Leitstreifen hier eine Abzweigung nimmt. Viel zu oft, so 
erklärt mir Anna, laufen Leute gedankenlos über die Leitstreifen und eben auch über die Noppenplatten, bleiben sogar darauf stehen, so dass es für Menschen, die mit dem Langstock 
unterwegs sind, schwierig ist, sich zu orientieren.




BildbeschreibungDie Plattformen mit Noppen erhöhen den taktilen Kontrast zwischen dem Leitstreifen und dem angrenzenden Bodenbelag. Sie sollen blinden oder sehbehinderten Menschen zeigen, dass der Leitstreifen hier eine Abzweigung nimmt.

Anna ist geübt, sich auf Bahnhöfen und anderswo zurecht zu finden. Die Sozialpädagogin, die bei Web for all jahrelang für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war und jetzt als Jobcoach für Menschen mit Behinderungen arbeitet, ist von Geburt an blind. Heute will sie mir für einen kleinen Film erklären, wie sie sich auf dem Frankfurter Hauptbahnhof orientiert. Dazu bin ich zusammen mit Siegurd Seifert von Inclusio Medien e. V. (www.inclusio-medien.de) nach Frankfurt angereist. Der Film soll als Einspieler für eine Sendung im Rahmen des zu Beginn dieses Jahres gestarteten TV-Projektes "Du hast das Wort" dienen. In diesem Projekt sollen vor allem Menschen mit Behinderungen zu Wort kommen und ihre Sicht auf die Dinge darlegen können. Denn immer noch wird in den Medien - wenn überhaupt - viel zu viel über sie berichtet, statt dass sie es selbst tun könnten.



BildbeschreibungSiegurd Seifert verkabelt Anna, damit sie später im Einspieler trotz aller Nebengeräusche auf dem Bahnhof gut zu verstehen sein wird.

Wir begrüßen uns herzlich und schlendern gemächlich über den Hauptbahnhof. Anna, weil sie sich auf das Leitsystem konzentrieren muss, und ich, weil ich halt eine lahme Ente bin. Ich erzähle Anna, dass ich normalerweise Respekt vor den Besitzern von Langstöcken habe, denn sie sehen nicht, dass ich mit Krücken unterwegs bin, und könnten mich so durchaus zum Fallen bringen. Wir einigen uns, dass ich immer rechts von ihr gehen werde, so können wir uns aufeinander einstellen und ich kann nicht über ihren Stock stolpern. Das klappt super.

Anna zeigt mir zunächst, wie sie das richtige Gleis findet. Dazu muss sie mit ihrem Langstock dem Leitstreifen folgen und die Noppenplatten abzählen, die die Abzweigung zum Gleis jeweils ankündigen. Auf Bahnhöfen mit Treppen, so Anna, findet sie die Nummer des Gleises i. d. R. am Ende des Handlaufes in Brailleschrift. Aber in Frankfurt erreicht man alle Regional- 
und Fernzüge - abgesehen von den S-Bahn-Zügen - auf einer Ebene.

Ich frage Anna, wie sie die Entwicklung der Barrierefreiheit in den letzten Jahren einschätzt. Und was ihr in der Zukunft das Reisen noch weiter erleichtern würde. Sie antwortet mir, dass es viele Fortschritte in dieser Hinsicht gäbe, dass es oft aber ein zu langsamer Prozess sei, um etwas in die richtige Richtung anzustoßen. Für die Zukunft wünsche sie sich zum einen digitale Beschreibungen der Bahnhöfe, damit blinde Menschen sich besser orientieren können. Und denjenigen, die nicht im Internet unterwegs sind, könnten tastbare Orientierungspläne der Bahnhöfe helfen.



BildbeschreibungAußer Siegurd Seifert von Inclusio Medien e. V. (links) und Anna Courtpozanis (rechts) ist Ellen Engel-Kuhn, Leiterin der Kontaktstelle Behindertenangelegenheiten der Deutschen Bahn, mit dabei. Sie erklärt, dass für die Deutsche Bahn blinde und sehbehinderte Menschen eine wichtige Zielgruppe sind.

Ellen Engel-Kuhn, Leiterin der Kontaktstelle Behindertenangelegenheiten der Deutschen Bahn, gibt mir am Ende unseres Rundganges noch ein kleines Interview und erzählt davon, dass mit dem ICE 4, der seit Dezember 2017 im Einsatz ist, Reisende mit Sehbehinderungen sich nun vom Einstieg in den Zug - durch ein Zugfindesignal - bis zum reservierten Platz, zur Toilette oder ins Bordrestaurant über tastbare Hinweise (taktile Piktogramme, Brailleschrift und Leitschienen) leiten lassen können. Damit sei der ICE 4 Vorreiter in der barrierefreien Ausstattung.

Demnächst wird die Sendung "Du hast das Wort", u. a. zum Thema "Barrierefrei Reisen mit der Deutschen Bahn" inklusive des kleinen Filmchens, den wir heute gedreht haben, auf dem Offenen Kanal Alex Berlin zu sehen sein.





Sonntag, 4. März 2018

Winterfreuden in der Kunsthalle Rostock





Seit Tagen lebte ich in der selbst gewählten Verbannung in meiner eigenen Wohnung. Lange hatte es nicht mehr so viel geschneit. Und die Straßen und Wege waren nicht geräumt, geschweige denn gestreut. Doch mehr noch als die nicht gestreuten Wege brachten mich diese teils matschigen, teils vereisten Stellen - unter anderem an den Eingängen zu Supermärkten, in Bussen und Straßenbahnen - dazu, innerlich zu verkrampfen: Was wäre wenn? Mich durchzuckte regelmäßig die Vorstellung, mit den Krücken auszurutschen und der Länge nach hinzusegeln. Meine Verbannung - dann nicht mehr selbst gewählt - würde deutlich länger dauern als ein paar Tage. Und in Abwägung der Frage, ob ich das Risiko dennoch eingehen und meine Termine einhalten oder ob ich lieber zu Hause bleiben und mich den wichtigen Dingen an meinem Schreibtisch widmen sollte, entschied ich mich für Letzteres.

Doch nach vier Tagen war ich mit meiner Geduld am Ende. Ich merkte, wie es in mir dampfte und danach schrie, wieder am wirklichen Leben teilnehmen zu können. Die Sonne lachte. Und - ja - ich liebe diese kalte, trockene Winterluft, die den Kopf freischaufelt und den Geist inspiriert. Und als mich ein guter Freund besuchte, versuchte ich, ihn kurzerhand zu überzeugen, etwas zu unternehmen. Irgendetwas, nur raus aus dem Haus. An seiner Hand mit dem vermeintlich sicheren Gefühl, gehalten zu werden, wenn ich ins Rutschen käme.

Wir recherchierten eine ganze Weile. Denn was kann man ganz spontan im Winter in Rostock unternehmen, wenn man nicht gerade einen langen Spaziergang am Wasser unternehmen will? Die Wege draußen sollten sich schon in Grenzen halten. Ich wollte nicht gleich übertreiben.
Im Kinoprogramm fanden wir nichts Vernünftiges. Ich hätte mir schon gern "Die Verlegerin" angeschaut, obwohl mich der Trailer nicht wirklich umhaute, aber meinen Freund konnte ich nicht überzeugen. Alle anderen Filme kamen für uns beide nicht in Betracht. Im Volkstheater gab es für die Premiere von "Fame" nur Restkarten an der Abendkasse. Und auch sonst fand sich nichts, was uns wirklich lockte.


Doch. Wir wurden fündig. In der Kunsthalle wird gerade die Ausstellung "Erich Kissing und Kerstin. Maler und Modell" gezeigt. Außerdem Illustrationen von Nuria Quevedo zum Buch "Kassandra" von Christa Wolf. Das könnte etwas sein. 



Wir machten uns auf den Weg, Hand in Hand, und es ging besser als gedacht. Ich konnte das Kopfkino verdrängen. Die Wege direkt zur Kunsthalle waren zwar ebenfalls nicht gestreut und das Gelände um die Kunsthalle herum eine einzige Baustelle - zum einen wegen Sanierungsarbeiten an einem Regenwassersammler und einem Teilstück der Trinkwasserleitung. Zum anderen wegen des Neubaus eines Schaudepots zur Erweiterung der Kunsthalle. Hier wird ein 27 x 27 Meter großer Bau entstehen, der auf zwei Etagen rund 1.100 m² Ausstellungs- und Schaudepotfläche schaffen wird. Und das ganze soll barrierefrei werden. Endlich. Es soll dann möglich sein, von diesem Schaudepot aus durch einen Gang stufenlos in die obere Etage der "alten" Kunsthalle zu gelangen. Diese Etage ist jetzt nur über eine hohe Treppe zu erreichen.



Die Ausstellung "Erich Kissing und Kerstin. Maler und Modell" beeindruckte mich sehr - diese surrealen Szenen, in denen der Leipziger Künstler die Beziehung zwischen Mann und Frau verhandelt - großflächig gemalt in feiner Technik. Mehr noch aber berührte mich der zweite Teil der Exposition, die sich mit der Beziehung Kissings und seinem Modell Kerstin beschäftigt, die in 17 seiner Gemälde auftaucht. Ein Modell, auf das auch andere Künstler, insbesondere Fotografen, ihren Blick richteten. Mir gefielen dabei vor allem die Aktfotografien in Schwarz-Weiß von Günter Rössler, dem berühmtesten Aktfotografen der ehemaligen DDR, die die Sinnlichkeit dieser schönen Frau einfangen.

Insgesamt eine sehr sehenswerte Ausstellung, die noch bis zum 1. Mai einlädt. Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, dass mich - neben den Illustrationen von Nuria Quevedo zu Christa Wolfs "Kassandra" - die Ausstellung "Schüler stellen aus" besonders begeisterte. Schüler aus 25 Schulen aus Rostock und dem Umland werfen in 847 Arbeiten eine Blick auf unsere Gesellschaft. Arbeiten, die die Zuversicht geben, dass Menschen heranwachsen, die nachdenkem, was um uns herum passiert.

Ich bin wieder im Leben angekommen. Der Kopf ist frei. Morgen soll es warm werden. Es könnte Blitzeis geben. Für ein paar Stunden. Das schaffe ich.


Montag, 1. Januar 2018

Die Sache mit den guten Vorsätzen



Eine Bekannte hatte mir Anfang Dezember von den "Raunächten" erzählt. Einem alten Brauch aus germanischer Tradition. Die Raunächte, beginnend entweder am 20., 21. Dezember, der Wintersonnenwende, oder am Heiligen Abend, werden als symbolische Tage des Übergangs – wie z. B. vom Leben zum Tod und umgekehrt (Neu- und Wiedergeburt) gesehen – also auch als eine Art Zeit der Auf- oder Abrechnung über die Taten des vergangenen Jahres. An diesen Tagen soll man sich besinnen und auf jeden Fall eine Neubestimmung oder weiterführende Pläne für das neue Jahr finden.

Bisher hatte ich mir immer am Silvestertag überlegt, ob ich mit dem vergangenen Jahr zufrieden sei und was ich mir für das kommende Jahr vornehmen wolle. Meistens war ich mit meinen Vorsätzen kläglich gescheitert. Und so fragte ich mich, warum es uns eigentlich so schwer fällt, unsere Vorsätze tatsächlich zu realisieren. Warum wir uns etwas vornehmen, was wir dann nicht in der Lage sind umzusetzen.

Ich begann, mich intensiv mit den Raunächten auseinanderzusetzen - nicht in einer religiösen oder spirituellen Art und Weise. Nein, ich dachte intensiv darüber nach, was ich in meinem Leben verändern wollte. Und mir gefiel dabei der Ansatz, das nicht an Silvester zu tun, an einem Tag oder nur einem Nachmittag. Nein, ich beschäftigte mich - seit der Wintersonnenwende - damit, was ich im Jahr 2018, das nun vor mir lag, zu tun gedachte. Was ich aus diesem Jahr machen wollte. Dabei wurde mir klar, dass es mir im vergangenen Jahr nicht gelungen war, mich jeden Tag als Erstes nach dem Frühstück für zwei Stunden an den Schreibtisch zu setzen und nur zu schreiben. Das nämlich war mein wichtigster Vorsatz für 2017 gewesen. Statt dessen hatte es immer wieder Dinge gegeben, die scheinbar wichtiger waren. Ich war von einer Sache zur nächsten gehetzt. Und viele Dinge, Artikel und andere Projekte wurden nicht oder unter hohem Zeitdruck realisiert.

In meinem Kalender hatte ich seit einiger Zeit etwa zwanzig Tage um den Jahreswechsel herum grün markiert. Darauf stand "Arbeitsurlaub". Meine Tochter hatte mich für verrückt erklärt, als ich ihr davon erzählte. "Du weißt schon, was Urlaub bedeutet?" hatte sie mich etwas spöttisch gefragt. "Ich habe einfach seit Langem das Bedürfnis, an einem Stück intensiv zu arbeiten. Mich tief hineinzuknien", entgegnete ich ihr. "Dieser Leere zu begegnen, die davon ausgelöst wird, einfach immer nur Dinge zu tun, weil ich sie angeblich tun muss. Und dabei kostbare Lebenszeit zu verschenken."

Als ich am nächsten Morgen aufstand, bereitete ich mir sehr sorgfältig das Frühstück zu, trank in Ruhe meinen Kaffee und setze mich direkt an den Schreibtisch. Und schrieb. Das machte ich viele Tage. Am Abend hatte ich stets das Gefühl, ein Ergebnis in der Hand zu halten. Das machte mich froh, auch an trüben Tagen.

Insofern hoffe ich auf ein kreatives Jahr. Ein Jahr voller Ergebnisse. Und der Überzeugung, dass wir viel mehr in der Hand haben, als wir oft denken. Daran zu glauben, dass wir etwas verändern können, wird mich weiter antreiben,


Samstag, 23. Dezember 2017

Das Wichtigste ist das Fundament



Endspurt! Die letzten Einkäufe erledigen. Wohnung putzen. Geschenke einpacken. Backen. Kochen. Zum Ausruhen bleibt kaum Zeit. Schon gar nicht, sich zu besinnen, Freunde zu treffen. Das
habe ich mir anders vorgestellt. Seit Tagen will ich ein paar freie Tage genießen, unerledigte Dinge aufarbeiten und endlich mal wieder in Ruhe schreiben. Doch daran ist nicht zu denken. Und nun? Was ist Weihnachten - für uns ganz persönlich - in dieser hektischen Zeit? Was machen wir daraus? Lassen wir uns mitreißen von diesem Wahnsinn, der letztendlich nur dieses kranke System noch kranker macht? Oder setzen wir etwas dagegen?

Und dazu die quälende Frage: Was schenkt man den Kindern bzw. Enkelkindern zu Weihnachten? In einer Zeit des Überflusses, in der man scheinbar alles kaufen kann, was das Herz begehrt. In einer Zeit, in der die Marktwirtschaft Nachfragen erzeugt, die es eigentlich gar nicht gibt. Man muss nur das entsprechende Kleingeld haben. 

Was kann ich anders machen? Womit kann ich Freude bereiten? Die Kreativität und Fantasie meiner Enkelkinder beflügeln und ihnen gleichzeitig Wertschätzung vermitteln? Wie sät man Begeisterungsfähigkeit und Leidenschaft? Und wie schafft man es, dass sie Freude darüber empfinden können, etwas durch eigenes Zutun - sei es mit dem Kopf oder mit den Händen - geschaffen zu haben?




Ich hatte lange nachgedacht und machte mich am letzten Wochenende endlich auf den Weg in die Innenstadt von Rostock, wo auf dem größten Weihnachtsmarkt Norddeutschlands der Bär steppte und Menschen aus Nah und Fern und gar aus Skandinavien anlockte. Ich verstand nicht ganz, was so bemerkenswert an diesem Ereignis war, immerhin findet man seit Jahren konstant die gleichen Buden - mit vielen Dingen, die der Mensch eigentlich nicht braucht - am gleichen Platz. Es war so voll, dass es an manchen Stellen kaum möglich war, vorwärts zu kommen. Was trieb die Menschen an, hierher zu kommen? Wollten sie alle nur wie ich die letzten Gaben kaufen? 

Augen zu und durch, sagte ich mir und steuerte zielsicher einen Spielzeugladen an, um eine große Duploplatte zu kaufen. Denn immer, wenn ich bei meinen Enkeln zu Besuch bin und wir stundenlang die Lego- und Duplobausteine aufeinanderstecken, um ein Haus zu bauen, fehlt uns eine große Platte. Mein Vater hatte uns Kindern oft die Worte meines Großvaters, der Maurer gewesen war, ans Herz gelegt: "Das Wichtigste ist das Fundament". Und in der Tat, dieses Fundament, die Grundlage für die Stabilität des Hauses, konnten wir nun legen. Und damit die beiden Jungen nach der Grundsteinlegung ihrer Fantasie freien Lauf lassen können, kaufte ich noch einen Eimer mit einzelnen Bauelemente wie Türen und Fenster dazu.

Ich weiß, das wird am 24. Dezember ein langer Abend werden. So wie früher, als ich das mit meinen Kindern tat und sie Häuser errichteten - bunt und anders, als sie diese oft aus der Realität kannten. Die aber dabei lernten, wie beglückend es sein kann, nach alternativen Gestaltungsmöglichkeiten abseits des Mainstreams zu suchen.

Und wer bringt morgen die Geschenke? Der Weihnachtsmann? Nun, ich habe mir etwas anderes einfallen lassen. Ich bzw. meine Kasperlepuppen werden ein neues Theaterstück aufführen: "Das gestohlene Geschenk". Am Ende sind dann hoffentlich alle Geschenke bei demjenigen, für den sie gedacht sind.

In diesem Sinne:

Fröhliche Weihnachten!





Montag, 6. November 2017

Kleine Festivalnachlese:

Nachdem gestern die DOK zu Ende gegangen ist, möchte ich Euch noch auf zwei bzw. drei Filme hinweisen, von denen hoffentlich zwei in die Kinos kommen.



(Quelle: DOK Leipzig 2017)


Zum einen auf die israelisch-deutsche Koproduktion „Muhi – Generally Temporary“. Erzählt wird die Geschichte des sechsjährigen Muhi aus dem Gazastreifen. In diesen kleinen Jungen habe ich mich sofort verliebt. Bitte schaut Euch auf Youtube das Lächeln dieses Jungen an, der sein ganzes bisheriges Leben in einem israelischen Krankenhaus verbrachte.


https://m.youtube.com/watch?v=8AfZl-GedyQ


Er leidet an einer Autoimmunkrankheit, aufgrund derer ihm mit zwei Jahren beide Füße und Hände amputiert werden mussten. Besonders beeindruckt hat mich an diesem Film die Darstellung der liebevollen Beziehung zwischen Muhi und seinem Großvater. Denn aufgrund des Konfliktes zwischen Israel und dem Gazastreifen als Teil des Palästinensischen Autonomiegebietes kann er nicht bei seiner Mutter leben.

Dieser ermutigende Film wurde am Sonnabend mit der Goldenen Taube im Deutschen Wettbewerb ausgezeichnet. Ich hoffe, wir können ihn bald im Kino sehen.




(Quelle: DOK Leipzig 2017)


Riesig freue ich mich auch darüber, dass der Film "Wildes Herz" von Charly Hübner, einem meiner Lieblingsschauspieler, und Sebastian Schultz vier Preise abgeräumt hat. Ein sehr authentischer Film, der beweist, dass Mecklenburg-Vorpommern noch "nicht komplett im Arsch" ist, wie es in einem der Songs der antifaschistischen Rockband "Feine Sahne Fischfilet" heißt. Jan "Monchi" Gorkow, der Protagonist des Films, hat einen weiten Weg hinter sich vom Hansa-Rostock-Hool zum Sänger der Band, die auch schon mal im Verfassungsschutzbericht des Landes auftauchte.


Zum Beispiel wegen eines Songs wie "Wut".

"Das Lied ist auch daraus entstanden, dass jeder Nazi-Marsch von der Polizei durchgeprügelt wurde,

selbst gegen die größten Blockaden. Wenn in Demmin vor fünf, sechs Jahren kein Mensch gegen die Nazis demonstriert hat, und jetzt da 500 Leute sich auf die Straße setzen, und die Polizei 200 Neonazis mit Fackelaufmarsch am 8. Mai, am Tag der Befreiung, durchprügeln mit Wasserwerfern, Landtagspolitikerinnen dort angreifen, Antifaschistinnen angreifen, dann hat man einfach das Gefühl von Hilflosigkeit und das Gefühl von 'Fick Dich, Bulle'."

Auf der Seite der DOK Leipzig heißt es dazu:

"Gegen diese Hilflosigkeit, die zur aktuellen Stimmung im ganzen Land passt, hilft ironischerweise: dieser Film. Helfen die Geschichte und das entschiedene Engagement von Monchi und seiner Band."

Der Film "Wildes Herz" steht meiner Meinung nach im krassen Gegensatz zu "Montags in Dresden". Der Film wurde auf der DOK in der Osthalle des Leipziger Hauptbahnhofs gezeigt. Die Plätze auf den Stühlen reichten nicht, auch nicht die auf den Treppen. Die Leute aller Altersgruppen saßen auf Kissen auf der Erde, viele standen, die Erwartung an den Film war groß. Meine zumindest jedoch wurde enttäuscht. Auch wenn die Regisseurin Sabine Michel versuchte, sich den Protagonisten sehr persönlich zu nähern - sie hat drei Pegida-Demonstranten über ein Jahr lang begleitet und sie sehr persönlich befragt. Überzeugen und die wirklichen Ursachen von Pegida aufdecken - das gelang ihr nur unzureichend.

Mein Hauptkritikpunkt an dem Film ist aber, dass Sabine Michel den Film beendet mit den Worten, sie hätte den Menschen zwar zugehört, sie teile aber deren Ängste nicht, das sei nicht ihre Welt. Sie werde deshalb wieder aus Dresden fortgehen. Einen Lösungsansatz bietet sie also nicht. Das wurde auch in der Diskussion klar, die im Anschluss an den Film stattfand und in der Sabine Michel mit Allgemeinplätzen auf die Wortbeiträge derjenigen anwortete, die die Ängste teilen bzw. bereit sind, Pegida etwas entgegen zu setzen.