Der
Geist, der stets verneint
Glaube
ich meiner Internetrecherche, muss es 15 Jahre her sein, dass ich mir
in Wismar die Ausstellung „GEBRANNTE GRÖSSE - Wege zur
Backsteingotik“ in der Marienkirche und der Sankt Georgen-Kirche,
diese im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigte und zu DDR-Zeiten
weiter verfallene Kirche, ansah. Die Backsteingotik „als Zeichen
norddeutscher Identität, als Zeichen europäischer Geschichte und
Zukunft gleichermaßen“, wie es Prof. Jobst Plog formulierte. 2002
– in dem Jahr, in dem sich Wismar mit der Aufnahme in das
Weltkulturerbe der UNESCO internationale Anerkennung erwarb.
Doch
statt uns die Kirche näher anzuschauen, entscheiden meine Freundin
und ich uns zunächst trotz schwachem Nieselregen für einen
Spaziergang hinunter zum Hafen. Der Wetterbericht hat in uns die
kleine Hoffnung geweckt, dass die Sonne sich doch noch zeigen wird
und ich meine geplanten Fotos machen kann.
Es
ist ein typischer Fall von „denkste“. Nachdem wir den Hafen
erreicht haben, fängt es in Strömen an zu regnen und wir harren
stundenlang im „Il Casale“, einem gehobenen Italiener im alten
Zeughaus, unter großen Schirmen aus. Immerhin schmecken die
gegrillten Calamaris und der Montepulciano vorzüglich. Die Hoffnung
allerdings, wenigstens trockenen Fußes zur Aufführung zu kommen,
zerschlägt sich. Wir müssen ein Taxi nehmen, um nicht völlig
durchnässt – was bei meinem Tempo unausweichlich wäre –
anzukommen.
Mir ist das Faustsche Streben nach Kreativität vertraut. Dieses Nicht-Los-Lassen-Können. Dieses Festbeißen an einer Sache. Wie kann ich zum Beispiel Öffentlichkeit für ein Thema schaffen, das nicht dem Mainstream folgt? Wie kann ich journalistisch dazu beitragen, Randgruppen stärker in den Fokus zu rücken? Gleichzeitig teile ich die Angst, die auch Faust zeitlebens umtrieb, man könne irgendwann zufrieden sein und sagen: „Verweile doch! du bist so schön!“ Nein, statt zufrieden zu sein, will Faust lieber zugrunde geh. Dafür verkauft er seine Seele dem Teufel.
Ja, ich gestehe: Ich hege große Sympathie für Mephisto, der von sich behauptet:
Ich
bin der Geist, der stets verneint!
Und
das mit Recht, denn alles, was entsteht,
Ist
wert, daß es zugrunde geht;
Drum
besser wär’s, daß nichts entstünde.
So
ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz,
das Böse nennt
Mein
eigentliches Element.
Die Aufführung von Holger Mahlich entschädigt mich für den verregneten Tag. Sie ist nah am Goetheschen Text inszeniert, so wie ich es mag. Und mich berührt vor allem das Spiel von Mario Ramos als Mephisto mit seiner Ironie, seiner Vitalität, mit seiner Leidenschaft. Ausgezeichnet! Aber auch Sascha Gluth als Faust und Elinor Eidt als Margarethe glänzen in ihren Rollen. Entzückend trocken Ben Hecker als Direktor, als Vorhang-Zieher, der die einzelnen Bilder ansagt und dabei dem Publikum nur kurze Worte, mitunter nur ein einziges hinwirft. Respekt sei auch der Tatsache gezollt, dass gemeinsam mit den Darstellern des „Faust“ Laiendarsteller der Wismarer Werkstätten vor einem breitem Publikum auf der Bühne der St.-Georgen-Kirche stehen. Wunderbar ebenso die Kulisse von Bühnenbildner Falk von Wangelin.
Einziger
Kritikpunkt an der Aufführung aus meiner Sicht:: Die Faustfigur ist eine Idee zu stark
auf die Liebe zu Gretchen fixiert, statt noch stärker sein Streben
nach schöpferischer Vollendung zu verdeutlichen.
Fazit:
Ein großartiger Abend und der feste Vorsatz wiederzukommen – um
für Euch die versprochenen Fotos zu machen.
Und um im Oktober die Ausstellung "Gebrannte
Größe - Bauten der Macht" anzusehen.
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